Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)
Abenddämmerung oder kurz danach erschienen und eine steile Rampe hinunterfuhren, die vermutlich in ein Kellergeschoss führte. Was sie enthielten, war ein Rätsel, bis am vierten Tag ein Viehtransporter mit Rindern die Rampe hinunterrollte.
Irgendetwas bekam dort unten zu fressen.
Kurz nach Mittag am vierten Tag lag Alicia in dem Abflussrohr, in dem sie ihr Lager aufgeschlagen hatte, und ruhte sich aus, als sie den Donner einer fernen Explosion hörte. Eine schwarze Rauchwolke stieg vom Fuße des Hügels in den Himmel. Mindestens ein Gebäude stand in Flammen. Sie sah, wie Männer und Fahrzeuge zum Schauplatz rasten. Ein Pumpenwagen kam dazu, um die Flammen zu löschen. Inzwischen hatte sie gelernt, die Gefangenen von den Wärtern zu unterscheiden, aber jetzt erschien plötzlich eine dritte Klasse von Personen. Es waren drei, und sie kamen zum Ort der Katastrophe in einem eleganten schwarzen Wagen, der ganz anders aussah als die zusammengeflickten Schrottkarren, die Alicia bisher gesehen hatte. Sie rückten ihre Krawatten zurecht und strichen die Falten in ihren Anzügen glatt, als sie in die Wintersonne hinaustraten. Was waren denn das für seltsame Kostüme? Ihre Augen waren hinter schweren dunklen Brillen verborgen. Nur wegen des Lichts oder noch aus einem anderen Grund? Ihre Anwesenheit wirkte auf der Stelle– wie ein Stein, der ins Wasser fällt und kreisförmige Wellen auf der Oberfläche verursacht. Alle anderen Anwesenden strahlten eine bange Geschäftigkeit aus. Einer der Anzugmänner schien Notizen auf einem Clipboard zu machen, während die beiden anderen wild gestikulierend Befehle brüllten. Was war das? Eine Führerkaste, das war klar; alles an dieser Stadt deutete darauf hin, dass es eine gab. Aber was war das für eine Explosion gewesen? Ein Unfall, oder war sie absichtlich ausgelöst worden? Eine offene Stelle in der Rüstung womöglich?
Ihre Befehle waren eindeutig. Erkunde die Stadt, schätze die Bedrohung ein, erstatte nach sechzig Tagen in Kerrville Bericht. Unter keinen Umständen durfte sie mit den Bewohnern in Kontakt treten.
Doch nirgends stand, dass sie außerhalb der Umzäunung bleiben musste.
Der Augenblick war gekommen, sich die Sache genauer anzusehen.
Sie entschied sich für das Stadion.
Noch zwei Tage lang beobachtete sie, flach auf den kalten Boden gedrückt, das Kommen und Gehen der Trucks. Die Zäune waren kein Problem; in das Kellergeschoss zu kommen wäre knifflig. Das Tor sah undurchdringlich aus wie das Portal des Bunkers. Nur wenn ein Truck oben auf die Rampe rollte, fuhr es hoch und schloss sich sofort wieder, wenn der Wagen durchgefahren war– alles in einem perfekten Zeittakt.
In der Abenddämmerung des dritten Tages legte Alicia hinter einem Gebüsch alle ihre Waffen ab– bis auf den Browning, der in seinem Holster steckte, und ein einzelnes Messer in einer Scheide an ihrer Wirbelsäule. Sie hatte eine Stelle im Drahtzaun gefunden, wo eins von mehreren scheinbar ungenutzten Gebäuden sie beim Hinüberklettern verdecken würde. Zwischen diesen Gebäuden und der Rampe lagen ungefähr hundert Meter offenes Gelände. Wenn der Wagen um die Ecke käme, hätte Alicia sechs Sekunden Zeit, dieses Gelände zu überqueren. Easy, sagte sie sich. Nichts dabei.
Ihr Fuß suchte nur ein einziges Mal Halt im Zaun, dann hatte sie ihn überwunden. Sie drückte sich an die Rückwand des Gebäudes und spähte um die Ecke. Da war er. Pünktlich wie immer rumpelte er auf das Stadion zu. Der Kastentransporter. Der Fahrer schaltete herunter, bevor er um die Ecke fuhr.
Los.
Als der Wagen die Rampe erreichte, war Alicia nur fünf Schritte hinter ihm. Das Tor, das mit rasselnden Ketten hochgezogen wurde, hatte fast seinen höchsten Punkt erreicht. Mit einem Riesensatz katapultierte sie sich durch die Luft, landete auf dem Dach des Wagens und ließ sich flach auf den Bauch fallen. Eine halbe Sekunde später glitt der Wagen unter der Einfahrt hindurch.
Sie gestattete sich einen kurzen Augenblick, in dem sie sich beglückwünschte. Verflixt, sie war gut!
Aber nur einen Augenblick. Denn schon fühlte sie es, sie fühlte sie. Das allzu vertraute Prickeln auf ihrer Haut und tief in ihrem Schädel ein plätscherndes Murmeln wie von liebkosenden Wellen auf einem fernen Strand. Der Transporter hatte sein Tempo verlangsamt und fuhr durch einen Tunnel. Vor sich sah sie ein zweites Tor. Als sie näher kamen, drückte der Fahrer auf die Hupe, und die Fanfare hallte ohrenbetäubend von den Wänden
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