Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)
klar wie Glas. Die Luft war durchtränkt vom süß berauschenden Blutgeruch. Sie riss die Wächter von den Beinen, sie ließ sie aufstrahlen wie Blitze. Neun Patronen im Magazin. Wenn sie mit ihnen fertig wäre, hätte sie noch eine übrig.
Es war einer der Männer mit den Flammenwerfern, der sie erwischte. Auch wenn er es keineswegs vorhatte. Als Alicia abdrückte, versuchte er nur, sich zu schützen. Mit einer instinktiven Bewegung zog er den Kopf ein und drehte ihr den Rücken zu.
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» Papiere.«
Sara zwang ihre Finger, nicht mehr zu zittern, und reichte der Wache den gefälschten Pass. Ihr Herz hämmerte gegen ihre Rippen; es war ein Wunder, dass die Frau es nicht hörte. Sie riss Sara das Papier aus der Hand und überflog es kurz. Ihr Blick huschte herauf zu Saras Gesicht, betrachtete den Pass ein letztes Mal und gab ihn dann mit ausdrucksloser Miene zurück.
» Nächste!«
Sara schob sich durch die Drahtgitterdrehtür. Jetzt gab es kein Zurück mehr: Auf der anderen Seite war sie auf sich allein gestellt. Drüben begann ein eingezäunter Laufgang, der aussah wie in einem Schlachthaus. Eine Kolonne von Tagesarbeitern schlurfte dort hindurch– Hausmeistergehilfen, Küchenarbeiterinnen, Techniker. Zu beiden Seiten dieses Laufgangs standen weitere Kols. Sie hielten zähnefletschende Hunde an Ketten zurück und lachten zusammen, wenn einer der Flachländer zusammenzuckte. Taschen wurden durchsucht, und alle wurden abgetastet. Sara zog sich das Tuch fester um den Kopf und schaute niemanden an. Die eigentliche Gefahr bestand darin, dass jemand sie sehen könnte, der sie kannte– Flachländer, Kol, egal. Erst in der Uniform eines Dienstmädchens wäre sie anonym und sicher.
Wie Eustace es geschafft hatte, sie in die Kuppel zu bringen, wusste Sara nicht. Wir sind überall – mehr hatte er nicht gesagt. Wenn sie drin wäre, würde ihr neuer Sachbearbeiter Kontakt mit ihr aufnehmen. Sie würde nicht im Voraus wissen, wer es war. Der Austausch von Codewörtern, alltäglichen Bemerkungen mit einer geheimen Bedeutung, würde ihre Identität offenbaren. So ging sie den Berg hinauf und versuchte, sich unsichtbar zu machen, indem sie den Blick auf den Boden gerichtet hielt– obwohl, wenn sie es sich recht überlegte: warum eigentlich? Wirkte es nicht natürlicher, wenn sie sich umschaute? Sogar die Luft kam ihr hier oben anders vor: sauberer, aber auch irgendwie aufgeladen, bedrohlich vibrierend. An der Peripherie ihres gesenkten Blicks nahm sie eine massive Präsenz von Human-Resources-Personal in Zweier- und Dreiergruppen wahr. Wahrscheinlich hatten sie wegen der Autobombe die Sicherheitsmaßnahmen verschärft. Wer weiß, vielleicht war es hier auch immer so.
Rings um die Kuppel waren Betonbarrikaden errichtet worden. Sie zeigte dem Wachtposten ihren Pass und stieg dann die breite Treppe hinauf, die zum Eingang führte, einer massiven Flügeltür in einem bronzenen Rahmen. Auf der Schwelle sog sie die Luft tief in die Brust. Auf geht’s, dachte sie.
Die Türflügel flogen auf und zwangen sie, seitwärts auszuweichen. Zwei Rotaugen rauschten an ihr vorbei. Sie hatten den Kragen an ihren Jacketts zum Schutz vor der Kälte hochgeschlagen, lederne Aktentaschen baumelten an ihren Händen. Sie dachte schon, sie wäre unbemerkt geblieben, als der linke an der obersten Stufe stehen blieb und sich zu ihr umdrehte. » Pass auf, wo du hinläufst, Flachländerin.«
Sie starrte zu Boden und gab sich alle Mühe, ihren Blicken auszuweichen. Selbst hinter den dunklen Brillengläsern hatten ihre Augen die Macht, ihr die Gedärme zu verknoten. » Verzeihung, Sir. Mein Fehler.«
» Sieh mich an, wenn ich mit dir rede.«
Sie saß in der Falle. » Ich hab’s nicht böse gemeint«, murmelte sie. » Ich habe einen Pass.« Sie hielt ihn hoch.
» Ich habe gesagt, du sollst mich ansehen.«
Gegen jeden Selbsterhaltungsinstinkt hob Sara langsam das Gesicht. Einen nervenaufreibenden Moment lang betrachtete das Rotauge sie durch den undurchdringlichen Schild seiner schwarzen Brille und traf keine Anstalten, den Pass entgegenzunehmen. Der zweite Mann schien mit anderen Dingen beschäftigt zu sein und sah es seinem Begleiter nach, dass er sich diese Unterbrechung im Tagesablauf leistete. Die beiden hatten etwas ausgeprägt Kindliches, fand Sara. Mit ihren weichen, makellosen Gesichtern und ihren jungenhaft schlaksigen Gliedern sahen sie aus wie zu große Kinder, die sich verkleidet hatten. Alles war ein Spiel für sie.
» Wenn einer
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