Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)
dir der Name etwas?«
Sara schüttelte kleinlaut den Kopf.
» Hast du vielleicht Gerüchte gehört? Wir machen uns keine Illusionen. Die Security ist nicht immer so, wie wir uns das wünschen. Du kannst es mir ruhig sagen, wenn du etwas gehört hast.«
Es kostete sie monumentale Anstrengung, ihm in die Augen zu sehen. » Nein, ich habe nichts gehört.«
Wilkes ließ einen Augenblick verstreichen, ehe er fortfuhr: » Na schön. Es mag genügen, wenn ich sage, Lila ist auf ihre Weise einzigartig. Dein Job ist ziemlich einfach. Im Grunde musst du nur tun, was sie verlangt. Du wirst feststellen, dass sie– wie soll ich sagen…? Sie kann unberechenbar sein. Manchmal wird dir das, was sie will, sonderbar vorkommen. Glaubst du, damit kommst du zurecht?«
Sie antwortete mit einem knappen Kopfnicken. » Ja, Sir.«
» Vor allem musst du dafür sorgen, dass sie isst. Das erfordert ein bisschen Überredung. Sie kann überaus stur sein.«
» Sie können sich auf mich verlassen, Stellvertretender Direktor.«
Er lehnte sich wieder zurück und verschränkte die Hände auf dem Schoß. » Du wirst feststellen, dass das Leben in der Kuppel sehr viel komfortabler ist als im Flachland. Drei volle Mahlzeiten am Tag. Heißes Wasser zum Waschen. Abgesehen von den Pflichten, die ich dir beschrieben habe, wird man sehr wenig von dir verlangen. Wenn du deine Arbeit gut machst, gibt es keinen Grund, weshalb du unsere Großzügigkeit nicht noch jahrelang genießen solltest. Eins noch. Wie verstehst du dich mit Kindern?«
Sie war verblüfft. » Mit Kindern?«
» Ja. Magst du sie? Kommst du mit ihnen zurecht? Ich persönlich finde sie ziemlich anstrengend.«
Sara verspürte einen vertrauten Stich. » Ja, Sir. Ich mag sie ganz gern.«
Sie wartete auf weitere Erklärungen, aber Wilkes hatte offenbar nicht vor, welche abzugeben. Er musterte sie einen Moment lang über seinen Schreibtisch hinweg und griff dann zum Telefon.
» Sagen Sie ihnen, wir sind unterwegs.«
Ungefähr eine Stunde später stand Sara im Gewand eines Dienstmädchens auf der Schwelle eines Zimmers, das so luxuriös eingerichtet war, dass die Vielfalt der Details nicht leicht zu erfassen war. Schwere Vorhänge verhüllten die Fenster. Licht kam nur von mehreren großen Kerzenleuchtern aus Silber, die verteilt im Zimmer standen. Nach und nach erst gewöhnte man sich an das Halbdunkel. Mit den Unmengen von Möbeln und Zierrat sah es nicht aus wie eine Wohnung, sondern eher wie ein Gemischtwarenlager. Auf der einen Seite standen ein voluminöses Sofa mit dicken, fransengeschmückten Kissen und zwei ebenso umfangreich gepolsterte Sessel. Gruppiert waren sie um einen flachen, viereckigen Tisch, auf dessen polierter Platte sich Bücher stapelten. Weitere Kissen in verschiedenen Farben lagen auf dem Boden verstreut, der von einem verschnörkelt gemusterten Teppich bedeckt war. An den Wänden hingen lauter Ölgemälde in schweren vergoldeten Rahmen– Landschaften, Bilder von Pferden und Hunden und viele Porträts von Frauen mit ihren Kindern in eigenartigen Kostümen. Vor allem eins erregte Saras Aufmerksamkeit: Eine Frau in einem blauen Kleid und mit einem orangefarbenen Hut saß in einem Garten und hielt ein kleines Mädchen bei der Hand. Sie trat näher heran, um es genauer zu betrachten. Auf einer kleinen Plakette unten am Rahmen stand: Pierre Auguste Renoir, » Auf der Terrasse«, 1881.
» Da sind Sie ja. Es wurde auch Zeit, dass sie jemanden schicken.«
Sara fuhr herum. Eine Frau stand mit verschränkten Armen in der Schlafzimmertür. Sie war mehr und zugleich weniger als das, was Sara sich nach dem, was Vale und Wilkes gesagt hatten, vorgestellt hatte. Sie hatte eine beeindruckende Erscheinung erwartet, aber die Gestalt, die vor ihr stand, war eher zierlich. Sie war vielleicht sechzig Jahre alt und hatte tiefe Falten im Gesicht. Halbmondförmige, schlaffe Hautsäcke hingen wie Hängematten unter den wässrigen Augen. Ihre Lippen waren so bleich, dass sie praktisch gar nicht existierten: Geisterlippen. Sie trug ein schimmerndes Gewand aus einem dünnen, glänzenden Stoff, und ein dickes Handtuch war wie ein Turban um ihren Kopf geschlungen.
» ¿Hablas inglés?«
Sara starrte sie stumm an und wusste auf diese unverständliche Frage nichts zu antworten.
» Sprechen… Sie… Englisch?«
» Ja«, sagte Sara. » Ich spreche Englisch.«
Die Frau erschrak ein wenig. » Oh. Tatsächlich. Ich muss sagen, das ist etwas Neues. Wie oft habe ich den Service gebeten, mir
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