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Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Titel: Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justin Cronin
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draußen.«
    Lilas Stimme klang, als zwinge man sie, ein Lied zu singen. » Ich weiß, mein Schatz, aber du weißt doch, wie empfindlich Mummy gegen die Sonne ist. Und Mummy muss jetzt ihre Medizin nehmen. Du weißt, wie Mummy wird, wenn sie ihre Medizin nimmt.«
    Widerstrebend gehorchte die Kleine. Sie löste sich von Lila und kam zu Sara, die an der Tür stand.
    Es war qualvoll und wunderbar, als sie Saras Hand nahm. Haut berührte Haut. So unerträglich klein war die Geste, aber von eigenständiger Kraft und von Erinnerungen durchdrungen. Saras Sinne konzentrierten sich ganz auf die winzige Hand ihres Kindes in ihrer eigenen. Es war das erste Mal, dass sie einander berührten, seit die eine in der anderen gewesen war, aber jetzt war es umgekehrt: Jetzt war Sara innen.
    » Lauft schon, ihr beide«, krächzte Lila. Sie bot ein Bild des absoluten Jammers, als sie zur Tür winkte. » Amüsiert euch.«
    Ohne ein weiteres Wort führte Kate – Eva – Sara hinaus. Sara schwebte, und zugleich war sie tonnenschwer. Eva, dachte sie. Ich muss daran denken, sie Eva zu nennen. Ein kurzer Flur, dann eine Treppe, und unten ging es durch eine Flügeltür hinaus in einen kleinen, umzäunten Hof mit einer Wippe und einer verrosteten Schaukel. Der Himmel schaute mit ernstem, schneeverheißendem Licht herunter.
    » Komm«, sagte das Kind und riss sich los.
    Sie kletterte auf die Schaukel. Sara stellte sich hinter sie.
    » Stoß mich an.«
    Sara packte die beiden Ketten und zog sie zurück. Plötzlich war sie nervös. Wie weit war es ungefährlich? Dieses kostbare, geliebte Wesen. Dieser heilige, wunderbare Mensch. Ein Meter war sicher mehr als genug. Sie ließ die Ketten los, und das Mädchen schwang im Bogen nach vorn und schwenkte energisch die Beine.
    » Höher!«, befahl sie.
    » Bist du sicher?«
    » Höher, höher!«
    Jedes Gefühl durchbohrte sie, jedes brannte sich schmerzlos in ihr Herz. Sara legte ihrer Tochter eine Hand ins Kreuz und gab ihr einen Stoß. Hoch hinauf stieg sie in die Dezemberluft. Mit jedem Bogen schwang ihr Haar zurück und füllte die Luft hinter ihr mit dem süßen Duft ihrer Person. Die Kleine schaukelte stumm; glücklich und zufrieden mit dem, was sie da tat. Ein Mädchen auf der Schaukel im Winter.
    Mein Liebling Kate, dachte Sara. Mein Kind, mein einziges. Immer wieder stieß sie es an, und das Mädchen flog davon und kehrte jedes Mal zu ihrer Hand zurück. Ich wusste es, ich wusste es, ich wusste es immer. Du bist die Glut des Lebens, in die ich geblasen habe, in tausend Nächten. Nie konnte ich dich sterben lassen.

46
    Houston.
    Die verflüssigte Stadt, ertränkt vom Meer. Ein großstädtischer Morast. Nichts stand hier mehr außer den Wolkenkratzern im Zentrum. Wirbelstürme, sintflutartige tropische Regenfälle, die ungebändigten Wasserfluten eines ganzen Kontinents, die endlich den Weg in den Golf gefunden hatten: Hundert Jahre lang war das Hochwasser gekommen und gegangen. Es hatte das Tiefland überschwemmt, hier ein schmutziges Bayou, dort ein kontaminiertes Delta geschaffen und alles andere ausgetilgt.
    Sie waren zehn Meilen davor. Die letzten Tage hatten sie im Zickzack zurückgelegt, hatten trockene Regionen und gangbare Straßenabschnitte gesucht und sich den Weg durch insektenverseuchtes Dornendickicht freigehackt. In diesen Gegenden zeigte die Natur ihre wahren, bösartigen Absichten: Alles hier wollte stechen, schwirren, beißen. Die Luft ächzte schwer, gesättigt von fauligem Gifthauch. Die Bäume, knorrig wie Klauenhände, schienen aus einem anderen Zeitalter zu stammen. Sie sahen regelrecht künstlich aus. Wer dachte sich solche Bäume aus?
    Die Dunkelheit kam mit chemikaliengelber Trübnis. Sie bewegten sich nur noch im Kriechtempo voran, und sogar Amy zeigte sich allmählich genervt. Die Krankheitssymptome hatten nicht nachgelassen, im Gegenteil: Wenn sie glaubte, Greer schaue nicht her, presste sie die Hände auf den Leib und atmete langsam und mit schmerzverzerrtem Gesicht aus. Sie übernachteten im oberen Stock eines Hauses, das in seinem verfallenen Reichtum unerhört erschien: Tropfende Kronleuchter, Räume, so groß wie Hörsäle, und alles fleckig von schwarz stinkendem Schimmel. Eine braune Linie, einen Meter hoch über dem Marmorboden, zog sich unten um die Wände herum, wo eine Überschwemmung sie hinterlassen hatte. In dem kolossalen Schlafzimmer, in dem sie ihr Nachtquartier bezogen, öffnete Greer die Fenster, um den Ammoniakgeruch abziehen zu lassen. Unter ihm,

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