Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)
jemanden zu schicken, der wenigstens ein kleines bisschen Englisch spricht?« Sie wedelte abwesend mit den Händen. » Verzeihung, wie war Ihr Name noch mal?«
Sara hatte ihn noch gar nicht genannt. » Dani.«
» Dani«, wiederholte die Frau. » Und woher genau kommen Sie?«
Eine allgemeine Antwort schien am klügsten zu sein. » Von hier.«
» Natürlich kommen Sie von hier. Ich meine, ursprünglich. Ihr Stamm. Ihr Volk. Ihre Sippe.« Wieder flatterten ihre Hände ungehalten. » Sie wissen schon. Ihre familia.«
Mit jedem Satz hatte Sara das Gefühl, tiefer in den Treibsand der Wunderlichkeit zu geraten, mit der diese Frau sich umgab. Dennoch hatte sie etwas an sich, das beinahe liebenswert war. Sie wirkte so hilflos wie ein zwitschernder Vogel in einem Käfig.
» Ich stamme aus Kalifornien.«
» Ah. Jetzt kommen wir weiter.« Nach einer kurzen Pause schien ihr ein Licht aufzugehen. » Oh, ich verstehe. Sie finanzieren sich so Ihr Studium. Warum sagen Sie das nicht?«
» Ma’am?«
» Bitte«, zirpte die Frau. » Nennen Sie mich Lila. Und seien Sie nicht so bescheiden. Es ist bewundernswert, was Sie da tun. Spricht sehr für Ihren Charakter. Das soll natürlich nicht heißen, dass ich Ihnen mehr bezahlen werde als den anderen Mädchen. Das habe ich dem Service klar und deutlich gesagt. Vierzehn die Stunde und damit basta.«
Vierzehn was?, dachte Sara. » Vierzehn sind in Ordnung.«
» Und natürlich die Sozialversicherung, die bezahlen wir auch. Und wir melden es ordnungsgemäß beim Finanzamt. David ist sehr genau in diesen Dingen. Er hält sich immer an die Regeln. Ein großer alter Spielverderber. Die Krankenversicherung übernehmen wir leider nicht, aber die haben Sie als Studentin sicher auch so.« Sie strahlte ermutigend. » Also, sind wir uns einig?«
Sara nickte völlig verdattert.
» Ausgezeichnet. Ich muss sagen, Dani«, sagte die Frau und kam schwerelos herbeigeschwebt, » Sie kommen wirklich gerade noch rechtzeitig. Keinen Augenblick zu früh, würde ich sagen.« Sie hatte eine Streichholzschachtel aus einer Tasche geholt und zündete die Kerzen auf einem großen Kandelaber neben ihrer Frisierkommode an. » Wollen Sie das nicht da drüben hinstellen?«
Sie meinte das Tablett, das Wilkes ihr gegeben hatte. Darauf standen eine Karaffe aus Metall und ein Becher. Sara stellte es auf den Tisch, auf den die Frau gezeigt hatte, neben einem mit Tüchern verhängten, mit Schnitzereien verzierten Kleiderschrank. Lila hatte sich vor einem Standspiegel aufgestellt, drehte die Schultern hin und her und betrachtete sich.
» Und, was meinen Sie?«
» Wie bitte?«
Lila legte eine Hand auf ihren Bauch und drückte ihn flach, während sie die Brust aufblies. » Diese schreckliche Diät. Ich glaube, ich bin in meinem ganzen Leben nicht so ausgehungert gewesen. Aber es scheint tatsächlich zu wirken. Was würden Sie sagen, Dani? Noch fünf Pfund? Sie können ruhig ehrlich sein.«
Im Profil betrachtet bestand die Frau nur aus Haut und Knochen. » Ich finde, Sie sehen gut aus«, sagte Sara behutsam. » Ich würde nicht noch mehr abnehmen.«
» Wirklich nicht? Weil– wenn ich in den Spiegel schaue, denke ich immer, wer ist denn diese fette Kuh? Dieser aufgeblasene Ballon? Das denke ich dann immer.«
Sara dachte an Wilkes’ Anordnung. » Ehrlich gesagt, ich glaube, Sie müssen essen.«
» Das ist nichts Neues. Glauben Sie mir, ich höre es nicht zum ersten Mal.« Sie stemmte die Hände in die Hüften, legte das Gesicht in Falten und senkte die Stimme um eine Oktave. » Lila, du bist zu dünn. Lila, du musst ein bisschen was auf die Rippen bekommen. Lila hier, Lila da, bla bla bla.« Plötzlich weiteten sich ihre Augen voller Panik. » Ach du meine Güte, wie spät ist es?«
» Ich schätze… so gegen Mittag?«
» Ach du meine Güte.« Die Frau fing an, im Zimmer umherzuwieseln, diverse Habseligkeiten an sich zu raffen und anscheinend willkürlich woanders wieder hinzulegen. » Stehen Sie nicht herum«, sagte sie beschwörend, nahm einen Stapel Bücher und schob sie in ein Regal.
» Was soll ich denn tun?«
» Ich weiß nicht… einfach– irgendetwas. Hier…« Sie drückte Sara ein paar Kissen in die Hand. » Legen Sie die da drüben hin. Auf das Dingeldumda.«
» Äh, Sie meinen das Sofa?«
» Natürlich meine ich das Sofa!«
Und dann plötzlich leuchtete ein Licht in ihrem Gesicht auf. Ein wunderbares, glückliches, strahlendes Licht. Sie starrte über Saras Schulter hinweg zur Tür.
» Mein
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