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Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Titel: Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justin Cronin
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und seine Handflächen waren feucht. Der Spieß war absurd schwer in seiner Hand. Er atmete tief ein. » Ich bin bereit!«
    » Dann… startet die Uhr!«
    Nachher sollte Peter erfahren, dass der Kampf im Ganzen achtundzwanzig Sekunden gedauert hatte. Das war lang und kurz zugleich. Es war in Zeitlupe und binnen eines Lidschlags passiert, ein Strudel von Ereignissen, der mit dem gewöhnlichen Lauf der Zeit nicht zusammenhing.
    Woran er sich erinnerte:
    Der explosive Ausbruch des Drac aus der Box– wie ein Wasserstrahl, der aus dem Schlauch schießt. Der majestätische Luftsprung, geradewegs zum höchsten Punkt des Käfigs, und dann drei blitzartige Sprünge von einer Seite zur anderen, zu schnell für Peters Augen. Die Wucht des Aufpralls, als ihre Körper zusammenstießen, der eine fest am Boden, der andere kopfüber im Fluge. Der Drac, der ihn schlitternd quer durch den Käfig schießen ließ, und sein Körper– atemlos, zerschlagen–, wie er rollte und rollte und rollte.
    Er lag auf dem Bauch. Der Mülltonnendeckel und der Spieß waren weg. Er warf sich auf den Rücken und fand das, was von dem Spieß übrig war. Der Schaft war einen halben Meter unter der Stahlspitze abgebrochen. Er packte ihn mit der Faust und sprang auf. Er würde kämpfend untergehen, und zumindest würde er aufrecht sterben. Auf einem fernen Planeten johlte die Menge. Die Bestie kam auf eine Weise auf ihn zu, die er als gelassen, beinahe schlendernd beschrieben hätte. Sie legte den Kopf schräg, riss die Schnauze auf und gestattete ihm einen langen und ausführlichen Blick auf ihre Zähne.
    Ihre Blicke trafen sich.
    Sie begegneten sich, schauten einander aufrichtig und seelenerforschend in die Augen. Etwas rastete ein, und in diesem Moment fühlte Peter, wie sein Geist sich mit dem der Kreatur verband– mit den Empfindungen und Erinnerungen, Gedanken und Sehnsüchten jener Frau, die der Drac einmal gewesen war. Ihre Miene wurde sanfter, ihre Haltung entspannte sich spürbar. Die Ausdruckslosigkeit ihres Gesichts hatte sich in etwas anderes verwandelt, in eine tiefe Melancholie. Noch immer war ein menschliches Wesen in ihr, ein winziges Flämmchen in der Finsternis. Schau nicht weg, befahl Peter sich. Was immer du tust, behalte diesen Blickkontakt. Er hielt den Spieß in der Hand.
    Er machte einen Schritt auf sie zu und noch einen. Noch immer rührte sie sich nicht. Er fühlte einen leisen Schauder in sich, nicht Angst, sondern Sehnsucht: Dies war es, was sie wollte. Das Publikum war verstummt. Es war, als wären sie beide allein in einem endlosen, stillen Raum. In einer leeren Kirche. Einem verlassenen Theater. Einer Höhle. Mit der einen Hand zog er den Spieß zurück, und die andere legte er sich auf die Schulter, um das Gleichgewicht zu halten. Bitte, sagten ihre Augen.
    Dann war es vorbei.
    Die Männer waren totenstill. Peter merkte, dass er zitterte. Etwas Unwiderrufliches war passiert, jenseits dessen, was man wissen konnte. Er schaute auf den Leichnam hinunter. Er hatte gespürt, wie die Seele sie verließ. Sie hatte ihn gestreift wie ein Windhauch, nur dass der Windhauch in seinem Innern war und aus Worten bestand. Danke, danke. Ich bin frei.
    Tifty erwartete ihn, als er aus dem Käfig kam.
    » Sie hieß nicht Sheila«, sagte Peter. » Sie hieß Emily.«
    Tifty sagte nichts. Er war ratlos.
    » Sie war siebzehn, als sie befallen wurde. Ihre letzte Erinnerung war die, dass sie einen Jungen küsste.«
    » Das verstehe ich nicht.«
    Hollis, Michael und Lore kamen die Tribüne herunter. Peter ging auf sie zu, blieb dann stehen und drehte sich zu Tifty um.
    » Wollen Sie wissen, wie man sie töten kann?«
    Tifty nickte mit offenem Mund.
    » Man muss ihnen in die Augen schauen.«

48
    Amys Geist war erfüllt von ihm. Von Carter und der Frau, die Rachel hieß. Rachel Wood.
    Amy fühlte es, fühlte alles. Sie fühlte, sah, wusste es. Die Arme der Frau, die ihn umschlangen und immer tiefer hinunterzogen. Der Geschmack des Poolwassers, wie der Atem eines Dämonen. Der weiche Aufprall, als sie den Grund erreichten, ineinander verflochten wie zwei Liebende.
    Wie sehr Carter sie geliebt hatte. Das fühlte Amy am schmerzlichsten: seine Liebe. Das Leben des Mannes hatte genau dort aufgehört, auf dem Grund des Pools, und seine Seele war für immer gefangen in einer Endlosschleife der Trauer. O bitte lass mich, dachte Anthony Carter. Ich sterbe, wenn du willst, ich würde für dich sterben, wenn du es möchtest, lass mich stattdessen sterben. Und

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