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Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Titel: Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justin Cronin
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» Ich bemühe mich.«
    » Nein, es ist mehr als das.« Lila lächelte sie schläfrig an. » Sie haben da etwas anderes an sich. Das erkenne ich. Ich glaube, es ist wunderbar für Eva, eine Freundin wie Sie zu haben.«
    » Dann darf ich mit ihr hinausgehen?«
    » Gleich.« Lila schloss wieder die Augen. » Ich hatte gehofft, Sie könnten mir vorlesen. Ich lasse mir so gern im Bad vorlesen.«
    Als sie endlich entkommen konnten, war es fast Mittag. Sara packte Eva in Mantel, Fausthandschuhe und Gummistiefel und zog ihr eine Wollmütze über die Ohren. Für sich selbst hatte sie nichts zum Drüberziehen, und an den Füßen trug sie nur schäbige Turnschuhe und Wollstrümpfe, aber das machte ihr nichts aus. Kalte Füße– na und? Sie gingen die Treppe zum Hof hinunter und traten hinaus in eine Welt, die so verändert war, dass sie sich ganz neu anfühlte. Die Luft war kalt und roch frisch, und der Schnee reflektierte die Sonne so intensiv, dass es in den Augen brannte. Nach so vielen Tagen im aufgezwungenen Zwielicht des Apartments musste Sara auf der Schwelle stehen bleiben, damit ihre Augen sich an die Helligkeit gewöhnen konnten. Kate hatte solche Schwierigkeiten nicht. Wie eine Rakete riss sie sich von Saras Hand los und flog zur Tür hinaus und quer über den Hof. Als Sara auf sie zugestapft kam– vielleicht hatte sie sich doch verschätzt, was ihre Füße anging: Sie waren jetzt schon eisig–, schaufelte sich das Kind den daunenweichen Schnee mit vollen Händen in den Mund.
    » Er schmeckt… kalt.« Sie strahlte. » Du musst es auch probieren.«
    Sara gehorchte. » Mmm«, sagte sie.
    Sie zeigte dem Kind, wie man einen Schneemann baute, und empfand dabei süße Nostalgie. Es war, als wäre sie wieder klein und spielte im Hof der Zuflucht. Aber hier war es doch anders. Sara war jetzt die Mutter. Die Zeit hatte ihren unaufhaltsamen Kreislauf vollbracht. Wie schön war es, die ansteckende Fröhlichkeit ihrer Tochter zu fühlen und das Staunen zu erleben, das wie ein elektrischer Strom zwischen ihnen hin und her ging. Für eine Weile war aller Schmerz aus ihrem Herzen verbannt. Sie hätten überall sein können. Nur sie beide.
    Sara dachte auch an Amy, zum ersten Mal seit Jahren. Amy, die scheinbar nie ein kleines Mädchen gewesen war, aber irgendwie immer eins war. Amy, das Mädchen von Nirgendwo, in deren Person die Zeit kein Kreislauf war, sondern etwas, das angehalten worden war: ein Jahrhundert in der gewölbten Hand. Sara empfand plötzlich eine unerwartete Trauer um sie. Sie hatte sich gefragt, warum Amy die Ampullen mit dem Virus in jener Nacht auf der Farm ins Feuer geworfen und zerstört hatte. Sara waren sie verhasst gewesen– nicht nur das, was sie angerichtet hatten, sondern schon ihre bloße Existenz, und es war ein zutiefst persönlicher und instinktiver Hass. Aber sie hatte auch gewusst, dass die Ampullen noch etwas waren: die Hoffnung auf Erlösung, die einzige Waffe, die mächtig genug war, um gegen die Zwölf eingesetzt zu werden. ( Die Zwölf, dachte sie. Wie lange war es her, dass ihr dieser Name in den Sinn gekommen war?) Sara hatte nie genau gewusst, was sie von Amys Entschluss halten sollte. Jetzt hatte sie die Antwort. Amy hatte gewusst, dass das Leben, das diese Ampullen ihr verwehrt hatten, die einzige wahre menschliche Realität war. In Saras Tochter, in dieser quicklebendigen kleinen Person, die Saras Körper geschaffen hatte, lag die Lösung für das größte Geheimnis von allen: das Geheimnis des Todes und dessen, was danach kam. Der Tod, erkannte Sara, war nichts, was man fürchten musste. Es gab keinen Tod. Allein durch die schlichte Tatsache ihrer Existenz verband das kleine Mädchen Sara mit etwas Ewigem. Ein Kind war das Geschenk wahrer Unsterblichkeit.
    Wieso hatte der Schnee sie an Amy erinnert? Dann fiel es ihr ein.
    » Lass uns Schnee-Engel machen«, sagte sie.
    Das war etwas Neues für Kate. Sie legten sich nebeneinander auf den Rücken, von Weiß umhüllt, und ihre ausgestreckten Fingerspitzen berührten einander. Sie schwenkten die Arme auf und ab und standen dann auf, um ihre Abdrücke zu betrachten. Sara erklärte dem Mädchen, was Engel waren: Das sind wir.
    » Das macht Spaß«, sagte Kate und lachte.
    Jenny, die Serviererin, würde jetzt den Lunch bringen; ihre Zeit im Schnee war zu Ende. Sara sah den Rest des Tages vor sich: Lila, die in ihren Fantasien schwebte und sie beide in Ruhe ließ, nasse Kleider, die auf einem Gestell vor dem Feuer trockneten, sie und ihre

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