Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)
Mann. Alicia hörte, wie die Tür zugeschlagen wurde, und dann kam, ominös und endgültig, das Geräusch des Schlüssels im Schloss.
51
Jede Nacht träumte Amy von Wolgast, als sie und Greer nach Norden ritten. Manchmal waren sie auf dem Karussell. Manchmal fuhren sie mit dem Auto; die Kleinstädte und die grüne Frühlingslandschaft flogen vorbei, und die Berge ragten in der Ferne auf, die Felsflanken glänzend vom Eis. Heute Nacht waren sie in Oregon, in dem Camp. Sie saßen auf dem Boden im Hauptzimmer der Lodge. Zwischen ihnen lag das Monopoly-Brett mit den verblichenen farbigen Feldern und dem Geld in ordentlichen Stapeln und Amys kleinem Hütchen und Wolgasts kleinem Auto, und Wolgast schüttelte die Würfel aus dem Becher und schob seine Figur vorwärts nach St. Charles Place, wo eins von Amys sechs (sechs!) Hotels stand. Im Zimmer war es warm vom Ofen, und vor den Fenstern fiel der Schnee durch die samtweiche Dunkelheit und die tiefe Winterkälte.
» Herr im Himmel«, stöhnte Wolgast.
Er zahlte seine Miete, und sein Ärger war gespielt; er wollte verlieren. Wollte ihr sagen, dass sie Glück hatte, und seine Worte bewirkten, dass es so war. Du hast Glück, Amy.
Immer im Kreis herum wanderten ihre Figuren. Noch mehr Geld wechselte den Besitzer, Park Place, Illinois Avenue, Marvin Gardens und der Bahnhof namens B&O. Amys Geldstapel wuchs, während Wolgasts gegen null schrumpfte. Sie kaufte Bahnhöfe und Elektrizitätswerke, sie hatte überall Häuser und Hotels, ein Spalier von Besitztümern. Genug, um noch mehr zu bauen und das ganze Spielfeld auszufüllen. Das Verständnis dieser Beschleunigungsmathematik war der Schlüssel zu diesem Spiel.
» Ich glaube, ich brauche einen Kredit«, gestand Wolgast.
» Versuch’s bei der Bank.« Sie grinste siegesgewiss. Wenn er sich erst Geld geliehen hätte, würde das Ende schnell kommen, und er würde mit erhobenen Händen kapitulieren. Dann würden sie ihre gewohnten Plätze auf dem alten, durchgesessenen Sofa einnehmen, sich die Wolldecke bis an die Brust heraufziehen und einander abwechselnd vorlesen. Das Buch für heute Abend: H. G. Wells, » Die Zeitmaschine« .
Er ließ die Würfel auf das Spielbrett rollen. Eine Drei und eine Vier. Er schob sein Auto voran und landete auf dem Feld » Luxussteuer« mit dem kleinen Diamantring.
» Nicht schon wieder.« Er verdrehte die Augen und zahlte. » Es ist so wunderbar, hier mit dir zu sein.« Er schaute an ihr vorbei zum Fenster. » Es schneit aber ordentlich da draußen. Wie lange geht das schon?«
» Ich glaube, schon ziemlich lange.«
» Ich hatte es immer schon gern. Ich muss daran denken, wie ich ein kleiner Junge war. Es kommt mir immer vor wie Weihnachten, wenn es schneit.«
Das Holz im Ofen knackte. Überall im dichten Wald schneite und schneite es. Der Morgen würde mit weichem weißem Licht heraufdämmern, ganz still, aber natürlich würde es für sie da, wo sie waren, kein morgen geben.
» Jedes Jahr sind meine Eltern mit mir ins Theater gegangen, ins › Weihnachtsmärchen‹. Ganz gleich, wo wir wohnten, sie haben immer ein Theater gefunden und sind mit mir hingegangen. Jacob Marley hat mir immer schreckliche Angst eingejagt. ›Er trug die Ketten, die er im Leben geschmiedet hatte‹ . Das war eine so traurige Geschichte. Aber auch schön. Viele Geschichten sind so.« Er dachte kurz nach. » Manchmal wünschte ich, ich könnte für immer mit dir hierbleiben. Albern von mir, ich weiß. Nichts dauert ewig.«
» Manches schon.«
» Was denn, zum Beispiel?«
» Das, woran wir uns gern erinnern. Die Liebe, die wir zu anderen Menschen empfinden.«
» Wie ich zu dir«, sagte Wolgast.
Amy nickte.
» Denn ich liebe dich, weißt du.« Er lächelte. » Habe ich dir das je gesagt?«
» Das brauchtest du nicht. Ich wusste es immer. Ich wusste es von Anfang an.«
» Nein, ich hätte es sagen sollen.« Er klang reumütig. » Es ist besser, wenn man es sagt.«
Stille senkte sich herab, tief wie der Wald, tief wie der Schnee, der draußen fiel.
» Etwas an dir ist anders, Amy.« Er betrachtete sie prüfend. » Etwas hat sich verändert.«
» Ja, das glaube ich auch.«
Eine weiche Dunkelheit schob sich von den Rändern herein. So ging es immer, wie auf einer Bühne, wo das Licht nach und nach erlosch, bis nur noch sie beide zu sehen waren.
» Na, was immer es ist«, sagte er und grinste, » es gefällt mir.« Ein Augenblick verging. » Hast du Carter gesagt, wie sehr es mir leidgetan hat?«
» Er
Weitere Kostenlose Bücher