Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)
Anschein erweckte, er habe etwas zu sagen. Er stellte sich nicht vor, und mindestens eine Minute lang sprach er kein Wort, sondern stand nur vor ihr, während sie von der Decke hing. Er machte ein Gesicht, als lese er ein schwer verständliches Buch. Der Mann trug einen dunklen Anzug und eine ebensolche Krawatte und darunter ein steifes weißes Hemd. Er sah nicht einen Tag älter als dreißig aus. Seine Haut war hell und zart, als gehe er niemals in die Sonne. Aber seine Augen verrieten die wahre Geschichte. Sollte sie überrascht sein?
» Du bist… anders.« Er trat näher und atmete scharf durch die Nase, hob sie schnuppernd vor ihr in die Luft wie ein Hund.
» Ja, das höre ich oft.«
» Ich rieche es an dir.«
» Ich hatte kaum Gelegenheit, mich zu waschen.« Sie schenkte ihm ihr frechstes Grinsen. » Und Sie sind…?«
» Ich stelle hier die Fragen.«
» Wissen Sie, Sie sollten nicht so viel im Dunkeln lesen. Das ist ganz schlecht für Ihre Augen.«
Er holte aus und schlug ihr mit der flachen Hand ins Gesicht.
» Wow.« Alicia wackelte mit dem Unterkiefer hin und her. » Autsch. Das tut irgendwie weh.«
Er trat wieder heran und verdrehte ihr heftig den erhobenen Arm. » Warum hast du keine Plakette?«
» Schicke Klamotten haben Sie da an«, sagte sie. » Da fühlt man sich als Mädel gleich ein bisschen underdressed.«
Der zweite Schlag ins Gesicht klang wie ein Peitschenknall. Alicia blinzelte, als ihre Augen anfingen zu tränen, und als sie mit der Zunge über ihre Zähne strich, schmeckte sie Blut. » Wissen Sie, ihr Jungs habt das jetzt schon oft getan. Es ist nicht sehr freundlich. Ich glaube, ich mag euch nicht besonders.«
Seine glühenden Augen wurden schmal vor Wut. Allmählich machte sie Fortschritte. » Erzähl mir von Bello.«
» Da klingelt nichts.«
Er schlug sie noch einmal. Kleine Lichter funkelten vor ihren Augen. Sie merkte, dass er seine Kraft bremste. Er würde sie Stück für Stück einsetzen, in einer langsamen Eskalation.
» Warum schneiden Sie mich hier nicht ab, damit wir uns richtig unterhalten können? Denn so kommen Sie offenbar nicht weiter.«
Diesmal benutzte er die Faust, und es war, als schlage er sie mit einem Brett. Alicia schüttelte sich und spuckte Blut. » Ich muss sagen, das war eindrucksvoll. Haben Sie trainiert?«
» Sag es mir.«
» Verpiss dich.«
Ein Hammerschlag in ihren Bauch. Der Atem gefror ihr in der Brust, und ihr Zwerchfell spannte sich wie eine Schraubzwinge. Sekunden ohne Luft vergingen, und als ihre Lunge sich endlich wieder dehnte, schlug er noch einmal zu.
» Wer … ist … Bello?«
Alicia hatte Mühe, scharf zu sehen. Scharf zu sehen und zu atmen und zu denken. Sie wartete auf den nächsten Schlag, aber er kam nicht, und dann wurde ihr bewusst, dass der Mann die Tür geöffnet hatte. Drei Gestalten kamen herein; zwei hatte sie schon gesehen, die dritte nicht. Sie trugen eine Art Bank, hüfthoch und mit einem breiten Rahmen an der Basis.
» Ich möchte Ihnen einen Freund vorstellen. Das ist Sod. Tatsächlich sind Sie einander schon begegnet.«
Alicia konnte allmählich wieder klarer sehen. Etwas stimmte nicht mit dem Gesicht dieses Mannes. Besser gesagt, mit der einen Seite seines Gesichts, die aussah wie ein Stück planlos gebratenes Fleisch, roh in der Mitte, schwarz an den Rändern. Sein Haar war zur Hälfte weggebrannt und der größte Teil seiner Nase ebenfalls. Sein linkes Auge war geschmolzen und zu einem klebrigen Schleim geronnen.
» Örk«, brachte Alicia hervor.
» Sod war auf dem Sammelplatz, als ihr beschlossen habt, ihn in die Luft zu jagen. Er ist nicht sehr glücklich darüber.«
» Das kommt vor. Freut mich, dich kennenzulernen, Sod. Ein toller Name, ›Sod‹.«
» Sod ist ein Mann mit speziellen Vorlieben. Man könnte sagen, er hat sich den Namen verdient. Und er hat ein Hühnchen mit dir zu rupfen.« Er wandte sich an die beiden anderen Männer. » Bindet sie fest. Das heißt– nein, wartet noch einen Moment.«
Die Schläge prasselten auf sie nieder. Ins Gesicht. Auf den Körper. Als der Mann erschöpft war, fühlte Alicia kaum noch etwas. Der Schmerz hatte sich verändert– er war fern und unbestimmt. Ketten rasselten, der Druck an ihren Handgelenken ließ nach. Ihr Blick war zu Boden gerichtet; sie war über die Bank gebeugt, ihre Beine waren gespreizt, die Fußgelenke an den Rahmen gefesselt. Jemand riss ihr die Hose herunter.
» Lassen wir unseren Freund hier ein bisschen allein«, sagte der erste
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