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Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Titel: Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justin Cronin
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Rotaugen bedeuten. Für Guilder, für Lila, für sie alle. Verstehst du, was ich sage?«
    Ihr Kopf fühlte sich taub an. Sie spürte, dass sie nickte und dann mit leiser Stimme sagte: » Ja.«
    » Dann tu deine Pflicht. Tu es für deine Tochter. Kate heißt sie, nicht wahr?«
    Sara war verwirrt. » Woher weißt du…?«
    » Du hast es mir gesagt. Weißt du das nicht mehr? Du hast mir ihren Namen gesagt, als sie geboren wurde.«
    Natürlich, dachte sie. Auf einmal ergab so vieles einen Sinn. Nina war die Frau von der Wöchnerinnenstation, die ihr eine Locke von Kates Haar gegeben hatte.
    » Vielleicht glaubst du mir nicht, Sara, aber ich versuche, ein Unrecht aus der Welt zu schaffen.«
    Sara hätte gern gelacht. Sie hätte es getan, wenn so etwas noch möglich gewesen wäre. » Du hast eine komische Art, das zu zeigen.«
    » Kann sein. Aber so sind die Zeiten, in denen wir leben.« Sie schwieg noch einmal und sah Sara forschend an. » Du schaffst es. Ich weiß das, wenn ich es sehe.«
    Wirklich? Aber die Frage war bedeutungslos. Irgendwo würde sie die Kraft eben finden müssen.
    » Tu es für deine Tochter, Sara. Tu es für Kate. Sonst hat sie keine Chance.«

50
    Was sie mit ihr taten, war erträglich. Nicht ohne Schmerz und die Cousine des Schmerzes, die Erwartung seines Kommens. Aber zu ertragen. Lange Zeit stellten sie ihr gar keine Fragen. Sie verlangten nichts von ihr. Es war einfach etwas, das sie gern taten, und sie würden es weiter tun und ihrem dunklen Vergnügen nachgehen, das Alicia ihnen nicht ohne Weiteres gönnte. Sie erstickte ihre Schreie, sie ertrug alles stoisch, und sie lachte, wann immer sie konnte, womit sie ihnen sagte: Tut nur, was ihr könnt, meine Freunde. Ich bin hier diejenige, die in Ketten gelegt werden muss. Meint ihr, diese Tatsache an und für sich ist nicht schon ein Sieg?
    Das Wasser war das Schlimmste. Seltsam eigentlich, denn Alicia hatte Wasser immer gerngehabt. Als Kind war sie eine furchtlose Schwimmerin gewesen; in der Kolonie war sie tief in die Grotte hinuntergetaucht, hatte den Atem angehalten, so lange sie konnte, und mit einem Dröhnen in den Ohren den Boden berührt, während die Luftblasen ihres Atems aus der dunklen Tiefe ins Sonnenlicht über ihr aufstiegen. Manchmal gossen sie ihr durch einen Trichter Wasser in den Mund. Manchmal ließen sie sie, auf ein Brett geschnallt, von der Decke herunter und tauchten sie mit dem Kopf voran in einen Bottich mit Eiswasser. Jedes Mal dachte sie: Los geht’s, und dann zählte sie die Sekunden, bis es vorbei war.
    Ihre Kraft hatte im Laufe der Tage merklich nachgelassen. Sie gaben ihr etwas zu essen, eine teigige Grütze aus Soja oder Mais und übermäßig stark geräucherte Streifen Fleisch, hart wie Leder. Eins war klar: Sie wollten sie am Leben halten, damit sie so lange wie möglich ihren Spaß haben konnten. Alicia legte ein lautloses Gelübde ab: Wenn sie schließlich im eindeutig letzten Akt ihrer Verwandlung menschliches Blut schmeckte, dann würde es deren Blut sein und nicht ihr eigenes. Ihre Mitgliedschaft in der menschlichen Rasse aufzugeben war hart, aber in dem Gedanken lag ein kleiner Trost. Sie würde diese Schweine leertrinken.
    Den Lauf der Tage zu messen war unmöglich. Wenn sie sich selbst überlassen war, kehrte sie als geistige Übung zu Ereignissen in ihrer Vergangenheit zurück und bewegte sich durch ihre Erinnerungen wie durch einen Korridor mit Gemälden, vor denen sie stehen blieb, um sie zu betrachten: Hier stand sie Wache in der Ersten Kolonie, da zog sie mit Peter, Amy und den andern durch die Darklands nach Colorado, und dort war ihre seltsame, raue Kindheit mit dem Colonel. Sie hatte ihn immer » Sir« genannt, niemals » Daddy« oder gar » Niles«; von Anfang an war er ihr vorgesetzter Offizier gewesen, kein Vater und kein Freund. Seltsam, jetzt daran zu denken. Die Erinnerungen an ihr Leben enthielten ein ganzes Spektrum von Emotionen, Trauer, Glück, Begeisterung, Einsamkeit und bis zu einem gewissen Grad auch Liebe, aber ihnen allen gemeinsam war das Gefühl der Zugehörigkeit. Sie bestand aus ihren Erinnerungen, und ihre Erinnerungen bestanden aus ihr. Hoffentlich würde sie sie behalten dürfen, wenn alles gesagt und getan wäre.
    Sie hatte schon angefangen, sich zu fragen, ob sie nichts anderes mit ihr vorhätten als die endlose Wiederholung ihrer schmerzhaften Anwendungen, als der Rhythmus ihrer Gefangenschaft durch die Ankunft eines Mannes unterbrochen wurde, dessen Auftreten den

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