Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)
Zustand darauf verfiel, Sara das ganze Buch auf einmal vorlesen zu lassen.
» Ich muss zur Toilette«, sagte Sara schließlich. » Ich komme gleich wieder.«
Bevor Lila etwas sagen konnte, verschwand sie rasch im Bad und verschloss die Tür. Sie zog das Gewand hoch, setzte sich auf die Toilette und nahm das Ei aus der Tasche. Ihr Herz klopfte wie wild. Sie zögerte kurz, aber dann öffnete sie das Ei, nahm das Papier heraus und faltete es auseinander.
Das Paket liegt in dem Gartenschuppen am Rand des Hofes. Schau unter die Bodendielen links neben der Tür. Ziel ist die Sitzung des Führungsstabs im Konferenzraum, morgen um 11 Uhr 30. Nimm den mittleren Aufzug in den dritten Stock und den ersten Gang rechts. Die letzte Tür links ist das Konferenzzimmer. Sag dem Wachmann, Guilder habe nach dir geschickt. Bello lebt.
Sie hatte das Papier gerade wieder in das Ei gelegt, als drängend an die Tür geklopft wurde. » Dani! Ich brauche Sie!«
» Einen Augenblick noch!«
Die Türklinke bewegte sich auf und ab. Hatte sie abgeschlossen? » Ich habe einen Schlüssel, Dani! Bitte machen Sie auf!«
Sara sprang von der Toilette auf, und das Ei rollte über den Boden. Scheiße! Der Schlüssel drehte sich im Schloss. Sie hatte gerade noch genug Zeit, um das Ei in die untere Schublade des Toilettentisches zu werfen, bevor Lila in der offenen Tür stand.
» Fertig«, sagte Sara und brachte ein Lächeln zustande. » Wozu brauchen Sie mich denn, Lila?«
Die Frau erbleichte verwirrt. » Ich weiß es nicht. Ich dachte, Sie wären weggegangen. Sie haben mir Angst gemacht.«
» Na, ich bin ja auch weggegangen. Ich war auf der Toilette.«
» Ich habe aber die Spülung nicht gehört.«
» Oh. Verzeihung.« Sara drehte sich um und zog an der Kette. » Das war ungehörig von mir.«
Einen Moment lang sagte Lila gar nichts. Sie schien jede Beziehung zur Realität verloren zu haben. Dann kam ihr eine Idee, und ihr Gesicht hellte sich auf.
» Könnten Sie etwas für mich tun? Eine Gefälligkeit?«
Sara nickte.
» Ich hätte gern ein bisschen… Schokolade.«
» Schokolade.« Was war Schokolade? » Wo bekomme ich die?«
Lila starrte sie ungläubig an. » In der Küche natürlich.«
» Ja. Das hätte ich mir wohl denken können.« Vielleicht würde jemand in der Küche wissen, wovon Lila da redete. Es wäre sicher keine gute Idee, mit leeren Händen zurückzukommen. » Ich gehe sofort.«
Lilas Gesicht entspannte sich. » Mir wäre alles recht. Sogar eine Tasse Kakao.« Ihre Augen schauten ins Leere, und sie seufzte leise. » An Winternachmittagen habe ich immer gern eine Tasse Kakao getrunken.«
Sara verließ das Apartment. Wie viel hatte Lila gesehen? Und warum hatte sie nicht daran gedacht, die Wasserspülung zu betätigen? Hatte sie die Schublade geschlossen? Sie ließ die Situation vor ihrem geistigen Auge vorüberziehen: Ja, die Schublade war zu. Es gab keinen Grund, weshalb Lila hineinschauen sollte, aber sicherheitshalber würde Sara das Ei herausholen, bevor die Serviererin käme.
Die Küche lag auf der anderen Seite des Gebäudes. Sie würde die Rotunde durchqueren müssen, wo es immer von Kols wimmelte. Noch immer von einer Adrenalinwoge getragen, blickte sie starr vor sich auf den Boden und ging den Korridor hinunter.
Als sie ins Foyer kam, empfing sie ein kleiner Aufruhr. Ein Dienstmädchen wurde von zwei Wärtern hinausgebracht, und die hallende Akustik der großen Halle verstärkte ihre kläglichen Rufe.
Bitte nicht, ich flehe euch an! Ich werde es besser machen! Bringt mich nicht in den Keller!
Die Frau war Karen Molyneau.
» Sara! Hilf mir!«
Sara blieb wie angewurzelt stehen. Wie hatte Karen sie erkennen können? Und dann begriff sie, dass sie den einen fatalen Fehler begangen, dass sie vergessen hatte, was sie niemals vergessen durfte: Sie hatte den Schleier nicht vor das Gesicht gezogen.
» Sara, bitte!«
» Halt!«
Der Befehl kam von einem dritten Mann. Als er auf sie zukam, erkannte Sara ihn sofort. Der runde Bauch, die getönte Brille auf der Nasenspitze, die flügelartig geschwungenen Augenbrauen. Der dritte Mann war Doktor Verlyn.
» Du.« Er schaute ihr eindringlich forschend ins Gesicht. » Wie heißt du?«
Sie hatte einen trockenen Mund. » Dani, Sir.«
» Sie hat dich Sara genannt.«
» Da muss sie sich geirrt haben.« Ihr Blick huschte reflexhaft zum Ausgang. » Ich heiße Dani.«
» Sara, warum tust du das?« Karen zappelte wie ein Fisch im Netz. » Hilf mir, um Gottes
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