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Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Titel: Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justin Cronin
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entfaltete sich in machtvoll spritzendem Blut, jäh abbrechenden Schreien und Gliedmaßen, die zerrissen wurden, und in der Stille, die folgte, trat Guilder an das Heck des zweiten Lastwagens und öffnete einladend die Tür.
    » Willkommen, meine Freunde. Ihr seid endlich zu Hause. Wir werden gut für euch sorgen.«

X
    Die Attentäterin
    Ich geh, und ’s ist getan; die Glocke mahnt.
    Shakespeare, Macbeth

58
    Vale war nicht mehr da, und das konnte nur eins bedeuten: Sara würde als Nächste an der Reihe sein.
    Jenny war ebenfalls verschwunden. Zwei Tage nach der Bombe bei der Fütterung hatte ein neues Mädchen ihre Stelle eingenommen. Gehörte sie zu ihnen? Nein, das hätte Sara gemerkt. Eine Nachricht unter dem Teller, ein bestätigender Blick. Irgendetwas. Aber das Mädchen– blass und nervös, Sara kannte ihren Namen nicht und würde ihn nie erfahren– kam und ging schweigend.
    Lila hatte sich ins Bett gelegt. Den ganzen Tag und bis tief in die Nacht hinein warf sie sich rastlos hin und her und stand nur auf, um zu baden, aber als Sara ihr helfen wollte, scheuchte sie sie hinaus. Ihre Stimme klang ausgelaugt, und es kostete ihre ganze Kraft, nur zu sprechen. » Lass mich in Ruhe«, sagte sie.
    Sara war allein, abgeschnitten von allem. Die Verbindung zu den anderen war abgebrochen.
    Sie verbrachte die Tage mit Kate, aber die gemeinsame Zeit fühlte sich anders an: als ginge etwas zu Ende. Auch Kate spürte es, wie Kinder so etwas spüren konnten. Woher kam diese Wahrnehmungsfähigkeit? Alles war getrübt vom Gefühl der Sinnlosigkeit. Sie spielten die gewohnten Spiele, aber es kümmerte sie nicht, wer gewann. Sara las die gewohnten Geschichten vor, aber das Kind hörte nur halb zu. Nichts half. Die gemeinsame Zeit ging dem Ende zu. Die Tage waren lang und dann zu kurz. Nachts schliefen sie zusammen auf dem Sofa, ineinander verschmolzen. Die sanfte Wärme des kindlichen Körpers war eine Qual. Stundenlang lag Sara wach, lauschte den ruhigen Atemzügen, trank ihren Duft. Was träumst du?, fragte sie bei sich. Träumst du vom Abschied wie ich? Werden wir uns wiedersehen? Gibt es einen Ort dafür? Sie hielt Kate in den Armen und dachte an Ninas Worte: Wir holen sie heraus. Sie hat sonst keine Chance. Mein Kind, dachte Sara, ich werde tun, was ich tun muss, um dich zu retten. Ich werde gehen, wenn man es mir sagt. Etwas anderes bleibt mir nicht.
    Am dritten Morgen ging sie mit Kate hinaus. Es war bitterkalt, doch das war ihr willkommen. Sie stieß Kate eine Zeitlang auf der Schaukel an, und dann gingen sie zur Wippe. Kate hatte kein Wort über Lila gesagt, seit Guilder die Frau an jenem Abend geschlagen hatte. Das Band zwischen ihnen war zerschnitten. Als es zu kalt wurde, gingen sie wieder hinein. Kurz vor der Tür blieb Kate stehen.
    » Jemand hat mir das gegeben«, sagte sie und zeigte Sara ein rosafarbenes Plastikei.
    » Wer?«
    » Ich weiß es nicht. Sie war da drüben.«
    Sara schaute quer durch den Hof, aber da war niemand. Kate zuckte die Achseln. » Vorhin war sie noch da.«
    Sara hatte sie allein herumspazieren lassen, allerdings nur für kurze Zeit, höchstens für fünf Minuten.
    » Sie hat gesagt, ich soll es dir geben.« Kate hielt ihr das Ei entgegen.
    Die Frau war natürlich Nina gewesen. Sara steckte das Ei in die Tasche. Ihr Körper war wie taub. Als Jenny verschwunden war, hatte sie sich die zaghafte Hoffnung erlaubt, diese Bürde werde ihr erspart bleiben. Wie dumm sie gewesen war.
    » Das bleibt unser Geheimnis. Ist das okay?«
    » Das hat sie auch gesagt.« Kate strahlte. » Ist das eine geheime Botschaft?«
    Sara lächelte, so gut sie konnte. » Genau das ist es.«
    Sara öffnete das Ei nicht sofort. Sie wagte es nicht. Als sie in das dunkle Apartment zurückkamen, war Lila eben dabei, mit einem langen Streichholz die Kandelaber anzuzünden. Ihr Gesicht war farblos, ihr Haar spröde und zerzaust. Sie rief die beiden zum Sofa und hielt ihnen ein Buch entgegen.
    » Würden Sie mir vorlesen?«
    Das Buch hieß »Little Women«. Sara schlug es auf und blies eine Staubwolke von den vergilbten Seiten.
    » Ich habe seit Ewigkeiten nichts mehr daraus gehört«, sagte Lila.
    Sara musste stundenlang vorlesen. Sie fand die Geschichte zwar ganz interessant, bekam aber das meiste gar nicht mit. Die Sprache war schwierig, und oft verlor sie den Faden. Kates Aufmerksamkeit schwand dahin, und irgendwann sank ihr Kopf an Saras Brust, und sie schlief ein. Es war durchaus möglich, dass Lila in ihrem neuartigen

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