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Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Titel: Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justin Cronin
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Ansammlung physischer Details: Sie kam aus dem Ganzen.
    » Ich… verstehe nicht…«
    » Sschh.« Sie nahm Alicias Hand. Ihre Berührung war fest und zärtlich zugleich wie die einer Mutter, die ihr Kind tröstet. » Dein Freund. Er hat uns gezeigt, wo du bist. Ein so schönes Pferd. Wie nennst du ihn?«
    Ihr Kopf war schwer und wie betäubt. » Soldier.«
    Amy umfasste Alicias Kinn und hob ihr Gesicht. » Du bist verletzt.«
    Wie war das möglich? Wie war das alles möglich? Draußen vor dem Schuppen sah Alicia eine zweite Gestalt, die zwei Pferde am Zügel hielt. Vom Wind verwirbeltes weißes Haar und ein mächtiger, heller Bart, der seine Züge verdeckte. Aber die Art, wie er dastand, seine soldatische Haltung, verriet Alicia, wer er war: Der Mann da draußen im Schnee war Lucius Greer.
    » Was haben sie mit dir gemacht?«, flüsterte Amy. » Erzähl’s mir.«
    Mehr war nicht nötig. Ihre ganze Selbstbeherrschung war mit einem Mal dahin, eine Woge der Trauer brach ungedämmt über sie herein. Sie sprach das Wort nicht, sie zitterte es schaudernd hervor: » Alles.«
    Und endlich, in Amys Armen, schüttelte sie ein machtvolles Schluchzen, ein Heulen von reinstem Schmerz und Leid klang himmelwärts zu den Wintersternen hinauf, und Alicia fing an zu weinen.
    Guilder. Es ist Zeit.
    Guilder. Steh auf.
    Aber Guilder hörte diese Worte nicht. Direktor Horace Guilder schlief und träumte– einen schrecklichen, oft wiederholten Traum, in dem er im Pflegeheim war und seinen Vater mit einem Kissen erstickte. Anders als damals ging das nicht ohne einen Kampf ab. Sein Vater warf sich hin und her, schlug um sich und versuchte, sich zu befreien, und dabei schrie er mit erstickter Stimme um Gnade. Erst als der Widerstand aufhörte und Guilder das Kissen von seinem Gesicht nahm, erkannte er den Irrtum: Er hatte nicht seinen Vater getötet, sondern Shawna. O Gott, nein! Dann klappte Shawna die Augen auf und fing an zu lachen. Sie lachte so sehr, dass ihr die Tränen kamen. Hör auf zu lachen!, schrie er. Hör auf, mich auszulachen! Guilder, sagte sie, du bist so komisch. Du solltest dein Gesicht sehen. Du und dein beschissenes Armband. Deine Mutter war eine Hure. Eine Hure eine Hure eine Hure…
    Bereite den Weg, Guilder. Steh auf und geh ihnen entgegen. Der Augenblick ist da.
    Er schrak aus dem Schlaf.
    Unser Augenblick, Guilder. Die Geburt der nächsten, der neuen Welt.
    Diese Information traf sein Hirn wie ein Stromstoß. Er fuhr senkrecht hoch in seinem riesigen Bett, auf dieser absurden Ebene voller Kissen und Decken und Laken, und begriff mit leiser Verlegenheit, dass er in seinen Kleidern eingeschlafen war. Warum brauchte er ausgerechnet ein Himmelbett? Ein so riesiges Bett, dass er sich darin wie eine Puppe vorkam? Aber er schüttelte die Frage ab. Sie kamen! Sie waren hier! Er schwenkte die Füße auf den Boden und schob sie in die ledernen Schnürschuhe; offenbar hatte seine Energie noch gereicht, um sie auszuziehen, bevor er vor Erschöpfung umgefallen war. Er stopfte sich das Hemd in die Hose, stürzte zur Tür und lief den Gang hinunter.
    » Suresh!«
    Sein lautes Hämmern hallte durch den leeren Flur.
    » Suresh, aufwachen!«
    Die Tür zu Sureshs Quartier öffnete sich, und er sah das schlaftrunkene, kastanienbraune Gesicht seines neuen Stabschefs. Er trug einen flauschigen weißen Bademantel und Pantoffeln und blinzelte wie ein Bär, der aus seiner Höhle kam.
    » Himmel, Horace, Sie brauchen doch nicht so zu schreien. Wie spät ist es?«
    » Wen interessiert das? Sie sind hie r !«
    Suresh erschrak. » Jetzt, in diesem Moment, meinen Sie?«
    Steh auf und geh ihnen entgegen, Guilder. Führe sie nach Hause.
    » Stehen Sie nicht herum! Ziehen Sie sich an!«
    » Ja, okay. Bin schon dabei.«
    » Bewegung, verdammt!«
    Guilder lief in sein Apartment zurück und ging ins Bad. Sollte er sich rasieren? Sich wenigstens das Gesicht waschen? Wieso kamen ihm jetzt solche Sachen in den Sinn? Er führte sich auf wie ein Junge vor dem Schulball. Er fuhr sich mit der feuchten Hand durch die Haare, putzte sich die Zähne und versuchte, sich zu beruhigen. Nannten sie so was hier Zahnpasta? Diese schrecklich schmeckende, sandige Schmiere? Herr im Himmel, wieso hatten sie in siebenundneunzig Jahren nicht mal eine anständige Zahnpasta zustande gebracht?
    Er nahm einen frischen Anzug aus dem Schrank. Die blaue Krawatte, die rote, die grün-gelb gestreifte: Er wusste nicht, welche er nehmen sollte. Er war plötzlich so nervös, dass

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