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Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Titel: Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justin Cronin
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hatte sich reichlich Vorwürfe gemacht, und er war tatsächlich erleichtert gewesen, als man ihn ins Gefängnis schickte. Der alte Grey– der unversehens am Rand eines Spielplatzes herumlungerte oder um drei Uhr nachmittags im Schritttempo an der Junior Highschool vorbeifuhr und an Sommernachmittagen bei den Umkleidekabinen im Schwimmbad trödelte–, dieser Grey war jemand, den er nie wieder kennen wollte.
    Seine Gedanken kehrten zu der Umarmung in der Küche zurück. Das war keine Boy-Girl-Angelegenheit gewesen, das wusste Grey. Doch völlig bedeutungslos war es auch nicht. Grey musste an Nora Chung denken, das einzige Mädchen, mit dem er auf der Highschool gegangen war. Das heißt, seine Freundin war sie genau genommen nicht gewesen; sie hatten nie miteinander rumgemacht. Die beiden waren in der Schulkapelle gewesen– Grey hatte sich für kurze Zeit in den Kopf gesetzt, Trompete zu spielen–, und manchmal brachte er sie nach der Probe nach Hause, ohne dass sie einander auch nur berührten. Trotzdem gab ihm etwas an diesen Spaziergängen zum ersten Mal im Leben das Gefühl, nicht allein auf der Welt zu sein. Er hätte sie gern geküsst, brachte allerdings nie den Mut dazu auf, und irgendwann war sie aus seiner Umgebung verschwunden. Komisch, dass er sich jetzt an sie erinnerte. Seit zwanzig Jahren hatte er nicht mal an ihren Namen gedacht.
    Gegen Mittag erreichten sie die Grenze von Kansas. Lila schlief noch. Grey war selbst in einen halb traumartigen Zustand verfallen und achtete kaum noch auf die Straße. Es war ihm gelungen, die etwas größeren Städte zu umfahren, aber das konnte auf die Dauer nicht so weitergehen. Sie würden bald tanken müssen. Er sah einen Wasserturm, der vor ihnen aus der Ebene ragte.
    Die Stadt hieß Kingwood– eine kurze, staubige Hauptstraße, die Hälfte der Schaufenster mit Papier verklebt, ein paar Nebenstraßen mit tristen Häusern zu beiden Seiten. Die Verlassenheit sah harmlos aus; der einzige Hinweis darauf, dass hier etwas passiert war, war der Krankenwagen, der mit offener Heckklappe vor der Feuerwache stand. Trotzdem spürte Grey etwas, ein Kribbeln in den Extremitäten, als würden sie im Vorüberfahren aus den Schatten beobachtet. Er fuhr der Länge nach durch die ganze Stadt und kam am östlichen Rand schließlich zu einer Tankstelle, einer freien Zapfstation namens » Frankie’s«.
    Lila rührte sich, als Grey den Motor abstellte. » Wo sind wir?«
    » In Kansas.«
    Gähnend schaute sie durch die Scheibe in die trostlose Stadt hinaus. » Warum halten wir an?«
    » Wir müssen tanken. Ich bin gleich wieder da.«
    Grey versuchte es an der Zapfsäule, aber da rührte sich nichts. Es gab keinen Strom mehr. Er musste das Benzin irgendwie absaugen, dazu brauchte er allerdings ein Stück Schlauch und ein Gefäß. Er ging in den Kassenraum. Ein verschrammter Stahltisch, mit Papierstapeln bedeckt, stand vorn am Fenster, und dahinter wartete ein alter Bürostuhl, dessen Lehne nach hinten gekippt war, als sei er eben erst verlassen worden. Grey trat durch die Tür in die Werkstatt, einen kühlen, dunklen Raum, in dem es nach Öl roch. Ein Cadillac Seville, ein Oldtimer aus den späten neunziger Jahren, stand oben auf einer der Hebebühnen; den zweiten Platz besetzte ein neuer Chevy 4x4, höhergelegt und mit breiten, schlammverkrusteten Reifen. Auf dem Boden stand ein Zwanzig-Liter-Benzinkanister, und auf einer Werkbank fand Grey einen Schlauch. Er schnitt ein zwei Meter langes Stück davon ab, schob das eine Ende in den Einfüllstutzen des 4x4, sog einen Schluck Benzin an und spuckte ihn aus, und dann ließ er den Sprit in den Kanister laufen.
    Der Kanister war fast voll, als er über seinem Kopf etwas scharren hörte. Sämtliche Nerven in seinem Körper funkten gleichzeitig, und er blieb starr stehen.
    Langsam schaute er hoch.
    Die Kreatur hing mit dem Kopf nach unten an einem der Dachträger. Sie hatte die Kniekehlen um den Träger gehakt wie ein Kind an einem Kletterturm. Sie war kleiner als Zero und sah menschlicher aus. Grey hatte den absurden Einfall, es könnte Frankie sein. Ihre Blicke trafen sich, und Greys Herz setzte einmal aus. Tief aus der Kehle der Kreatur kam ein trillerndes Geräusch.
    Du brauchst keine Angst zu haben, Grey.
    Fuck, was war das?
    Er stolperte über die eigenen Füße, als er rückwärts taumelte, und flog der Länge nach auf den harten Zementboden. Schnell raffte er sich auf und packte den Kanister. Das Benzin gluckerte immer noch aus dem

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