Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Titel: Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justin Cronin
Vom Netzwerk:
Veranda, und sie hatten sogar eine Band organisiert. Das Ganze haute mich um. Ich bin im Garten und höre mir die Musik an, und da sagt dieser Freund, da sind ein paar Frauen, die dich kennenlernen wollen. Steh hier nicht rum wie ein Vollidiot. Er geht mit mir ins Haus, und da sind die drei. Alle ganz nett. Eine kenne ich ein bisschen von früher. Sie unterhalten sich, irgendeine Fernsehsendung, Tratsch, das Übliche. Normaler Alltagskram. Ich nuckle an einem Bier und höre zu, und ganz plötzlich wird mir klar, ich habe keine Ahnung, wovon sie da reden. Ich meine nicht die Wörter an sich, ich meine das, was sie bedeuten. Nichts davon schien mit irgendetwas anderem zusammenzuhängen, als wären da zwei Welten, eine Innenwelt und eine Außenwelt, die beide nichts miteinander zu tun hatten. Ein Psychiater hätte bestimmt einen Namen dafür. Ich weiß nur, dass ich auf dem Boden lag, als ich wieder aufwachte, und alle um mich rumstanden. Danach hab ich vier Monate im Wald gebraucht, um wieder in menschlicher Gesellschaft sein zu können.« Er schwieg und war ein bisschen überrascht von sich selbst. » Um ehrlich zu sein, von diesem Teil hab ich noch niemandem erzählt. Du dürftest die Erste sein.«
    » Es klingt nach einem Tag auf der Highschool.«
    Kittridge musste lachen. » Touché.«
    Ihre Blicke trafen sich. Wie seltsam das war, dachte er. Gerade warst du noch ganz allein mit deinen Gedanken, und dann kam jemand, der dein tiefstes Inneres zu kennen schien und dem du dich öffnen konntest wie ein Buch. Er wusste nicht, wie lange sie einander anschauten. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, und keiner von beiden hatte den Willen oder den Mut oder auch das Verlangen wegzusehen. Wie alt war sie? Siebzehn? Aber sie erschien ihm nicht wie siebzehn. Sie schien überhaupt kein Alter zu haben. Lebensklug: Kittridge hatte diesen Ausdruck schon gehört und nie genau verstanden, was damit gemeint war. Aber das war es, was April war: lebensklug.
    Um den Deal zwischen ihnen zu besiegeln, zog Kittridge eine der Glocks aus dem Schulterholster und hielt sie ihr hin. » Kannst du damit umgehen?«
    April sah sie unsicher an. » Lassen Sie mich raten. Es ist nicht wie im Fernsehen.«
    Kittridge ließ das Magazin herausfallen und zog den Verschluss zurück, um die Patrone aus der Kammer auszuwerfen. Er legte sie ihr in die Hand und schloss ihre Finger mit seinen.
    » Du darfst nicht mit dem Fingergelenk abdrücken, sonst schießt du zu tief. Du musst das oberste Fingerglied benutzen– so.« Er ließ ihre Hand los und klopfte auf sein Brustbein. » Ein Schuss, hier hinein. Mehr ist nicht nötig, aber du darfst nicht danebenschießen. Nichts überstürzen: zielen und feuern.« Er deutete mit dem Kopf auf die Pistole. » Na los, du kannst sie haben. Und pass auf, dass sie immer durchgeladen ist, wie ich es dir gezeigt habe.«
    Sie lächelte schief. » Oh, danke. Ich hab leider überhaupt nichts für Sie.«
    » Vielleicht beim nächsten Mal.«
    Ein Augenblick verging. April drehte die Waffe in der Hand und betrachtete sie, als wäre sie ein rätselhaftes Artefakt. » Was der Vater da gesagt hat… Anta …«
    » Anta al-mas’ul.«
    » Haben Sie je rausgefunden, was das heißt?«
    Kittridge nickte. » Du hast es vollbracht.«
    Wieder wurde es still. Doch diese Stille war anders als bisher. Es gab keinen Graben zwischen ihnen, vielmehr verband sie die Einsicht in das Leben des anderen. So als seien um sie herum plötzlich Wände hochgezogen worden, als befänden sie sich in einem Raum, in dem es nur sie beide gab. Wie seltsam, dachte Kittridge, diese Worte zu wiederholen. Anta al-mas’ul. Anta al-mas’ul.
    » Sie haben es richtig gemacht, wissen Sie«, sagte sie. » Sie wären sonst auch tot.«
    » Man hat immer eine Wahl«, sagte Kittridge.
    » Was hätten Sie sonst tun können?«
    Es war eine rhetorische Frage, das wusste er. Sie erwartete keine Antwort. Was hätten Sie sonst tun können? Kittridge kannte die Antwort. Er hatte sie schon immer gekannt.
    » Ich hätte die Hand des Jungen halten können.«
    Er hielt die ganze Nacht hindurch am Fenster Wache. Auf Schlaf zu verzichten war kein Problem für ihn; er hatte gelernt, mit wenig auszukommen. April hatte sich auf dem Boden vor dem Fenster zusammengerollt, und Kittridge hatte die Jacke ausgezogen und sie damit zugedeckt. Nirgendwo war Licht zu sehen. Durch das Fenster schaute man auf eine friedliche Welt, und am Himmel leuchteten die Sterne. Als der erste Schimmer des Tageslichts

Weitere Kostenlose Bücher