Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)
Vorschein und bestiegen den zweiten Hubschrauber. Nacheinander hoben die Maschinen ab und flogen knatternd davon.
April erschien hinter ihm. » Das hab ich auch gesehen«, sagte sie. » Haben Sie ’ne Ahnung, was das war?«
» Vielleicht nichts weiter.« Kittridge ließ die Hand sinken. » Wo ist Tim?«
» Er hat schon Freunde gefunden. Sie spielen irgendwo Fußball.«
Sie sahen den Hubschraubern nach, bis sie verschwunden waren. Was immer es gewesen war, dachte Kittridge– nichts war es ganz sicher nicht.
» Glauben Sie, wir sind hier gut aufgehoben?«, fragte April.
» Warum nicht?«
» Ich weiß nicht.« Aber ihr Gesicht verriet, dass sie es doch wusste; sie dachte das Gleiche wie er. » Gestern Nacht, im Physiklabor… Ich will sagen, ich bin manchmal so. Aber ich wollte nicht aufdringlich sein.«
» Ich hätte dir nichts erzählt, wenn ich nicht gewollt hätte.«
Irgendwie schaute sie ihn an und gleichzeitig an ihm vorbei. In solchen Momenten sah sie manchmal älter aus, als sie war. Nein, sie sah nicht so aus, dachte Kittridge– sie war es.
» Bist du wirklich achtzehn?«
Das schien sie zu amüsieren. » Warum? Seh ich nicht so aus?«
Kittridge zuckte die Achseln, um seine Verlegenheit zu verbergen. Die Frage war ihm so herausgerutscht. » Nein. Ich meine, doch, schon. Ich wollte nur… ich weiß es auch nicht.«
April machte die Situation offensichtlich Spaß. » Ein Mädchen soll darüber nicht reden. Aber damit Sie beruhigt sind: Ja, ich bin achtzehn. Achtzehn Jahre, zwei Monate, siebzehn Tage. Nicht, dass ich mitzähle, wissen Sie.«
Ihre Blicke trafen sich und hielten sich gegenseitig fest, wie sie es anscheinend sollten. Was war das nur mit diesem Mädchen?, dachte Kittridge. Mit dieser April?
» Ich bin Ihnen noch was schuldig für die Pistole«, sagte sie, » auch wenn man sie mir wieder weggenommen hat. Ehrlich gesagt, ich glaube, das war vielleicht das schönste Geschenk, das mir je einer gemacht hat.«
» Mir hat das Gedicht gefallen. Wir sind quitt, könnte man sagen. Wie hieß der Typ noch mal?«
» T. S. Eliot.«
» Hat er noch mehr geschrieben?«
» Nicht viel Sinnvolles. Man könnte sagen, er war so was wie ein One-Hit-Wonder.«
Sie hatten keine Waffen und keine Verbindung zur Außenwelt. Nicht zum ersten Mal fragte Kittridge sich, ob sie nicht einfach hätten weiterfahren sollen.
» Na, wenn wir hier rauskommen, muss ich sehen, dass ich was von ihm lese.«
17
Grey.
Überall Weiß und das Gefühl zu schweben. Grey wurde bewusst, dass er in einem Auto war. Das war seltsam, denn das Auto war auch ein Motelzimmer mit Betten und Kommoden und einem Fernseher. Seit wann wurden solche Autos gebaut? Er saß auf dem Fußende des einen Bettes und fuhr das Zimmer– die Lenksäule kam schräg aus dem Boden, und der Fernseher war die Windschutzscheibe–, und auf dem Bett daneben saß Lila und drückte ein rosa Bündel an die Brust. » Sind wir schon da, Lawrence?«, fragte sie ihn. » Das Baby braucht frische Windeln.« Das Baby?, dachte Grey. Wann war denn das passiert? Hatte sie nicht noch ein paar Monate Zeit? » Sie ist so schön«, sagte Lila und gurrte leise. » Wir haben eine so schöne Tochter. Zu schade, dass wir sie erschießen müssen.« » Warum müssen wir sie erschießen?«, fragte Grey. » Sei nicht albern«, sagte Lila. » Wir erschießen jetzt alle Babys. So werden sie nicht gefressen.«
Lawrence Grey.
Der Traum veränderte sich– halb wusste er, dass er träumte, aber die andere Hälfte wusste es nicht–, und Grey war jetzt in dem Panzer. Etwas kam, um ihn zu holen, doch er konnte sich nicht rühren. Er kauerte auf Händen und Knien und schlürfte das Blut. Seine Aufgabe war es, das Blut zu trinken, alles, aber das war unmöglich; es fing an, durch die Luke zu fluten und die Kabine zu füllen. Ein Meer von Blut. Das Blut stieg über sein Kinn hinauf, füllte Mund und Nase, er erstickte, ertrank…
Lawrence Grey. Wachen Sie auf.
Er öffnete die Augen, und grelles Licht blendete ihn. Es fühlte sich an, als stecke etwas in seiner Kehle. Er fing an zu husten. War es ums Ertrinken gegangen? Aber der Traum brach schon auseinander, seine Bilder atomisierten sich, und was blieb, war ein Sediment aus Angst.
Wo war er?
Eine Art Krankenhaus. Er trug ein Hemd, sonst nichts; er spürte die Kühle der Nacktheit darunter. Seine Hand- und Fußgelenke waren mit dicken Gurten an das Gitter am Bett gefesselt, und er war reglos wie eine Mumie im Sarg. Kabel schlängelten
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