Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)
Vielleicht braucht er noch ein Weilchen, um sich zu sortieren.«
Aber Guilder ließ sich nicht abhalten. Der Blick des Mannes war jetzt ein bisschen eindringlicher geworden. Er schien sich in ihn hineinzubohren. » Wir müssen wissen, was im Chalet passiert ist. Wie sind Sie von da entkommen?«
» Ich kann mich nicht erinnern.«
» War da ein Mädchen? Haben Sie sie gesehen?«
Da war ein Mädchen? Was redete er da?
» Ich hab niemanden gesehen. Ich… ich weiß es einfach nicht. Es war alles völlig durcheinander. Als ich aufgewacht bin, war ich im ›Red Roof‹.«
» Im ›Red Roof‹? Was ist das?«
» Ein Motel, draußen am Highway.«
Guilder zog verwirrt die Stirn kraus. » Wann war das?«
Grey versuchte zu zählen. » Vor drei Tagen? Nein, vor vier.« Er nickte mit dem Kopf auf dem Kissen. » Vor vier Tagen.«
Die beiden Männer sahen einander an. » Das ergibt keinen Sinn«, sagte Nelson. » Das Chalet wurde vor zweiundzwanzig Tagen zerstört. Er ist nicht Rip van Winkle.«
» Wo waren Sie in diesen drei Wochen?«, drängte Guilder.
Diese Frage ergab ebenfalls keinen Sinn. Drei Wochen?
» Ich weiß es nicht«, sagte Grey.
» Ich frage Sie noch einmal, Mr. Grey. War Lila im Chalet? Haben Sie sie dort kennengelernt?«
» Ich hab’s Ihnen doch gesagt.« Er klang jetzt flehentlich; sein Widerstand war gebrochen. » Sie war bei Home Depot.«
Seine Gedanken kreiselten umeinander wie Wasser, das in einen Abfluss lief. Was immer sie ihm gegeben hatten, es hatte ihn gründlich erledigt. Es war wie ein Schlag in die Magengrube, als ihm klarwurde, was die Gurte zu bedeuten hatten. Sie würden ihn studieren. Wie die Glühstäbe. Wie Zero. Und wenn sie mit ihm fertig wären, würde Richards oder jemand wie er das rote Licht auf ihn richten, und das wäre sein Ende.
» Bitte, ich bin’s doch, den Sie haben wollen. Es tut mir leid, dass ich abgehauen bin. Tun Sie Lila nichts.«
Einen Moment lang sagten die beiden Männer nichts, sondern starrten ihn nur durch ihre Sichtscheiben an. Dann drehte Guilder sich zu Nelson um und nickte.
» Legen Sie ihn wieder schlafen.«
Nelson nahm eine Injektionsspritze und eine Ampulle mit einer klaren Flüssigkeit vom Wagen. Grey sah hilflos zu, wie er die Nadel in den Infusionsschlauch bohrte und den Kolben herunterdrückte.
» Ich mache nur sauber«, sagte Grey matt. » Ich bin Hausmeister.«
» Oh, ich glaube, Sie sind sehr viel mehr als das, Mr. Grey.«
Und mit diesen Worten im Ohr schlief Grey wieder ein.
Guilder und Nelson traten durch die Luftschleuse in die Dekontaminationskammer. Erst duschten sie in ihren Bio-Anzügen, dann zogen sie sich aus und schrubbten sich mit einer scharfen, chemisch riechenden Seife von Kopf bis Fuß ab. Sie räusperten sich, spuckten in ein Waschbecken und gurgelten eine Minute lang mit einem starken Desinfektionsmittel. Ein umständliches Ritual, aber solange sie nicht mehr über Greys Zustand wussten, war es klug, sich daran zu halten.
Im Gebäude war nur eine Rumpfmannschaft anwesend: drei Labortechniker– Guilder nannte sie insgeheim nur Tick, Trick und Track–, ein Arzt und ein vierköpfiges Security-Team von Blackbird. Das Gebäude war gegen Ende der achtziger Jahre gebaut worden, um Soldaten zu behandeln, die nuklearen, biologischen oder chemischen Wirkstoffen ausgesetzt gewesen waren, und die Systeme hier waren fehlerhaft an allen Ecken und Enden– die überirdische Heizungs-, Lüftungs- und Klimaanlage war kaputt, ebenso die Videoüberwachung für die komplette Anlage–, und der ganze Laden fühlte sich beunruhigend verlassen an. Aber hier würde man sie zuallerletzt suchen.
Nelson und Guilder betraten das Labor, einen weitläufigen Raum mit Tischen und Gerätschaften, unter anderem den starken Mikroskopen und Blutzentrifugen, die sie brauchten, um das Virus zu isolieren. Während Grey und Lila bewusstlos waren, hatte man sie einem CT unterzogen und ihnen Blut abgenommen. Die Untersuchungsergebnisse waren uneindeutig, aber auf dem CT zeigte sich bei Grey eine radikal vergrößerte Thymusdrüse, die typisch für die Infektion war. Soweit sie es erkennen konnten, zeigte er jedoch bisher keine anderen Symptome. In jeder anderen Hinsicht schien er bei allerbester Gesundheit zu sein. Mehr noch: Der Mann sah aus, als sei er fit genug für einen Marathonlauf.
» Ich will Ihnen was zeigen«, sagte Nelson.
Er führte Guilder zu dem Terminal in einem benachbarten Büro, wo er sich eingerichtet hatte, öffnete eine Datei und
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