Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)
Speichel durchflutete seinen Mund.
» Sie haben keinen Stuhlgang gehabt, nein?«
Grey schluckte und schüttelte wieder den Kopf. Der Arzt trat ans Fußende des Bettes und holte eine kleine, silberglänzende Sonde heraus, mit der er schnell über Greys bloße Fußsohlen strich.
» Sehr gut.«
Die Untersuchung ging weiter. Herz, Lunge, Puls. Jede einzelne Information wurde auf dem Display eines Palmtops notiert. Suresh schob Greys Krankenkittel über die Beine nach oben und nahm seine Hoden in die Hand.
» Husten Sie bitte.«
Grey brachte ein mattes Hüsteln zustande. Das Gesicht des Arztes hinter der Scheibe verriet nichts. Das Pochen erfüllte Greys Gehirn bis obenhin und überlagerte jeden anderen Laut.
» Ich werde jetzt Ihre Drüsen untersuchen.«
Der Arzt griff mit seinen behandschuhten Händen an Greys Hals. Als seine Fingerspitzen ihn berührten, schoss Greys Kopf nach vorn. Es war eine automatische Bewegung; Grey hätte sie nicht verhindern können, selbst wenn er es versucht hätte. Seine Zähne bohrten sich in das weiche Fleisch von Sureshs Handfläche und hielten sie fest wie eine Schraubzwinge. Der chemische Geschmack von Latex war zutiefst widerwärtig, aber dann erfüllte ein süßer Schwall seinen Mund. Suresh kreischte und versuchte, sich loszureißen. Die freie Hand drückte er auf Greys Stirn, um sich dagegenzustemmen, er bog sich nach hinten und schlug Grey mit der Faust ins Gesicht. Es war nicht schmerzhaft, eher verblüffend, und Grey lockerte seinen Biss. Suresh taumelte zurück und umklammerte seine blutende Hand am Gelenk. Daumen und Zeigefinger umschlossen sie wie eine Aderpresse. Grey rechnete mit einem Riesenaufruhr– gellender Alarm, hereinstürmende Männer–, doch nichts dergleichen geschah: Der Augenblick war wie erstarrt in der Zeit, niemand hatte etwas bemerkt. Suresh wich zurück und starrte Grey mit panisch aufgerissenen Augen an. Er riss den blutigen Handschuh herunter und stürzte zum Waschbecken, drehte den Hahn auf und schrubbte wie wild seine Hand.
» O Gott o Gott o Gott«, murmelte er immer wieder.
Dann war er draußen. Grey lag einen Moment lang still da. Bei dem Handgemenge war der Infusionsschlauch abgerissen. Er hatte Blut auf dem Gesicht, auf den Lippen. Langsam und voller Behagen leckte er es ab. Nur eine winzige Kostprobe, aber es genügte. Kraft durchströmte ihn, so langsam und mächtig wie die Flut, die über den Strand rollt. Er stemmte sich gegen die Gurte und fühlte, wie die Nieten abplatzten. Die Luftschleuse war eine andere Sache, aber früher oder später würde sie sich öffnen, und dann würde Grey bereit sein. Er würde auf sie hinabsegeln wie ein Engel des Todes.
Lila, ich komme.
19
3Uhr30. Die Gruppe stand mit ihrem Gepäck neben dem Zelt und wartete auf die Morgendämmerung. Kittridge hatte gesagt, sie sollten schlafen, um für die bevorstehende Reise ausgeruht zu sein. Kurz nach Mitternacht waren die versprochenen Busse draußen vor dem Zaun erschienen, eine lange, graue Kolonne. Von der Army kam keine Ansage, aber ihre Ankunft war niemandem entgangen. Überall im Camp redete man von der Abreise. Wer würde als Erster fahren dürfen? Kamen noch mehr Busse? Was war mit den Kranken? Würden sie zuerst evakuiert werden?
Kittridge war mit Danny zum Kommandanturzelt gegangen, um bei Porchekis Lagebesprechung dabei zu sein. Das Zivilpersonal, das noch da war– FEMA - und Rot-Kreuz-Mitarbeiter–, würde das eigentliche Einsteigen beaufsichtigen, während Porchekis Rest, drei Züge insgesamt, die Menge in Schach halten sollte. Ein Dutzend Humvees und zwei Schützenpanzer würden draußen vor dem Zaun warten, um den Konvoi zu eskortieren. Die Fahrt nach Rock Island würde knapp zwei Stunden dauern. Vorausgesetzt, dass alles nach Plan verlief, würde das letzte der vier Kontingente Rock Island gegen 17Uhr30 erreichen, also knapp vor Ablauf der Frist.
Nach dem Meeting nahm Kittridge Danny beiseite. » Wenn etwas passiert, warte nicht lange. Nimm mit, was du unterbringen kannst, und fahr los. Bleib weg von den Hauptstraßen. Wenn die Brücke bei Rock Island gesperrt ist, fahr nach Norden, wie wir es beim letzten Mal getan haben. Fahr am Fluss entlang, bis du eine offene Brücke findest. Verstanden?«
» Ich soll nicht lange warten. Von den Hauptstraßen wegbleiben. Nach Norden fahren.«
» Genau.«
Die anderen Fahrer waren schon unterwegs zu den Bussen. Kittridge hatte nur noch einen Augenblick Zeit für den Rest. » Was jetzt auch passieren
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