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Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Titel: Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justin Cronin
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Leute hatten nichts zu verlieren.
    Sie drehten sich um. Sahen ihn. Griffen an.
    Kittridge bremste und riss das Steuer herum, doch es war zu spät: Die Horden verschlangen den Humvee wie eine Brandungswelle. Seine Tür wurde aufgerissen, Hände zerrten an ihm, versuchten seine Finger vom Lenkrad zu biegen. Er hörte Tim schreien und hatte Mühe, nicht die Kontrolle über den Wagen zu verlieren. Leute stürmten aus allen Richtungen auf das Fahrzeug ein, umzingelten es. Ein Gesicht prallte gegen die Frontscheibe und war gleich wieder verschwunden. Hände griffen von hinten über seinen Kopf herein, krallten sich in sein Gesicht, rissen an seinen Armen. » Loslassen!«, schrie er und versuchte, sie wegzuschlagen, aber es war zwecklos. Es waren einfach zu viele, und als immer weitere Körper über die Frontscheibe und unter die Räder rollten und der Humvee sich neigte und zu kippen begann, zog er Tim an sich und machte sich auf den Crash gefasst, und das war das Ende.
    Unterdessen donnerte die Kolonne der Busse in Richtung Osten. Drei Meilen hatten sie schon zurückgelegt– mit insgesamt zweitausenddreiundvierzig Zivilisten, sechsunddreißig FEMA - und Rot-Kreuz-Mitarbeitern und siebenundzwanzig Soldaten an Bord. Viele schluchzten, andere waren ins Gebet vertieft. Diejenigen, die Kinder hatten, hielten sie fest umklammert. Ein paar schrien immer noch, obwohl die Mitreisenden sie ernsthaft anflehten, endlich die Klappe zu halten. Eine Handvoll plagte sich bereits mit herzzerreißenden Selbstvorwürfen, weil sie so viele zurückgelassen hatten– im Jargon der Psychologen spricht man vom Überlebenden-Syndrom–, aber die überwiegende Mehrheit empfand keine derartigen Bedenken. Sie hatten Glück gehabt, sie waren davongekommen.
    Am Steuer seines Redbird verspürte Danny Chayes zum ersten Mal in seinem Leben etwas, das sich nur als eine herrliche Ganzheit des Selbst beschreiben ließ. Es war, als habe er seine gesamten sechsundzwanzig Jahre innerhalb einer künstlich schmal gehaltenen Bandbreite seiner potentiellen Persönlichkeit verbracht und als sei es ihm unvermittelt wie Schuppen von den Augen gefallen. Wie der Bus, dessen Weg er lenkte, war Danny vorwärtsgeschossen und in einen neuen Seinszustand geschleudert worden, wo eine Vielfalt von widersprüchlichen Empfindungen gleichzeitig in seinem Kopf existierten. Er hatte Angst, ehrlich und aus tiefstem Herzen, doch aus dieser Angst erwuchs keine Lähmung, sondern Macht; sie war ein reicher Quell des Mutes, der in ihm sprudelte und überfließen wollte. Du bist der Captain auf diesem Schiff, hatte Mr. Purvis gesagt, und so war es auch. Hinter seiner linken Schulter redeten Pastor Don und Vera in ernstem Ton über dies und jenes, und hinter ihnen saßen die anderen paarweise zusammen auf ihren Bänken: die Robinsons mit ihrem Baby, das leise quäkte. Wood und Delores hielten einander bei der Hand und beteten. Jamal und Mrs. Bellamy umarmten sich tatsächlich, und April, die in ihrem Elend allein dasaß, war zu erschüttert, um noch zu weinen. Sie alle zu retten war der einzige Zweck, den Dannys Leben hatte, der Fixpunkt seines privaten Kosmos, um den sich alles andere drehte, und doch war ihre Anwesenheit eine reine Abstraktion in der Aufregung des Augenblicks, da Danny die erstaunliche Tatsache seiner eigenen Lebendigkeit entdeckte. Am Steuer seines Redbird 450 war Danny Chayes eins mit sich und dem Universum, und als er– wie sicher auch die Fahrer der anderen Busse– den zweiten, größeren Schwarm von Virals entdeckte, der im Süden aus der frühmorgendlichen Dunkelheit auftauchte, und dann auch den dritten, der von Norden herunterkam, und mittels einer kurzen dreidimensionalen Berechnung vor seinem geistigen Auge sehen konnte, dass diese beiden Schwärme sich zu einer einzelnen, alles umzingelnden Masse vereinigen würden, die über die Busse herfallen würde wie Hornissen, die ihr Nest verlassen hatten, da wusste er, was er zu tun hatte. Er zog das Lenkrad nach links, löste sich aus dem Konvoi und trat das Gaspedal bis auf den Boden. Er rauschte an den anderen Bussen in der Kolonne vorbei, mit siebzig, fünfundsiebzig, achtzig Meilen pro Stunde, und mit jeder Faser seiner Willenskraft trieb er den Bus dazu, noch schneller zu fahren. Was machst du denn?, rief Pastor Don. Um des lieben Himmels willen, was machst du, Danny? Aber Danny wusste genau, was er machte. Sein Ziel war nicht die Flucht, denn es gab kein Entkommen. Sein Ziel war es, Erster zu sein. Mit so

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