Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zypressen von Cordoba

Die Zypressen von Cordoba

Titel: Die Zypressen von Cordoba Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yael Guiladi
Vom Netzwerk:
Lebens in den
Korridoren der Macht verspürt. Als du heranwuchsest, begriff ich
allmählich, daß du für ein Leben der Täuschung und Intrige nicht
geschaffen bist. Du mußt einen anderen Weg einschlagen. Du hast die
Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit deiner Mutter geerbt und ihr tiefes
Mitgefühl mit allem menschlichen Leiden. Im Verein mit deinem scharfen
Intellekt wird dich dies zu einem Arzt im wahrsten Sinne des Wortes
machen, zu einem Heiler um des Heilens willen.
    Ich habe geduldig gewartet, bis du jetzt deine medizinischen
Studien abgeschlossen hast, ehe ich dir von einer Vermutung spreche,
die ich schon lange Zeit über die Eigenschaften des Großen Theriak
hege. Als ich dieses Mittel zum erstenmal für Abd ar-Rahman III.
zubereitete, habe ich ihm, hauptsächlich einem Impuls folgend, geraten,
stets eine kleine Menge zur Vorbeugung einzunehmen, wenn er sich in
akuter Gefahr eines Schlangenbisses wähnte. Er folgte meinem Rat, und
nachdem er tatsächlich gebissen wurde, verspürte er keinerlei
unangenehme Wirkung.«
    »Gar keine?«
    »Überhaupt keine.«
    »Unglaublich!« rief Hai aus, wie damals vor so vielen Jahren
auch Ibn Zuhr.
    »Die einzige andere Person, der ich davon erzählt habe, ist
unser Lehrer Ibn Zuhr. Er meinte zu Recht, die vorbeugende Wirkung des
Großen Theriak sei nicht eindeutig bewiesen, da der Kalif nach dem Biß
auch noch eine volle Dosis davon eingenommen habe. Und sie läßt sich
auch nicht beweisen, ohne daß man jemanden der Todesgefahr aussetzt.
Trotzdem bin ich nach wie vor davon überzeugt, daß meine Eingebung
richtig war. Ich hinterlasse dir diese Einsicht, mache damit, was du
willst. Aber gib auf keinen Fall das schwer erworbene Privileg auf, für
den jeweils herrschenden Kalifen den Großen Theriak zu bereiten. So
hast du stets einen Fuß im Palast, und dieser Vorteil ist nicht zu
verachten.«
    Mühsam verlagerte Da'ud sein Gewicht, trank einen kleinen
Schluck Wasser und ruhte sich ein wenig aus, ehe er weitersprach.
    »Was nun Ralambos ›Wundermittel‹ betrifft, so muß ich dich
wohl kaum dazu drängen, deine unaufhaltsame Suche fortzuführen. Wenn
die Expedition nicht zurückkehrt – und nach meinen
Berechnungen sollte sie inzwischen längst wieder hier sein –,
dann gib trotzdem nicht auf. Verwende dafür ohne Zögern das gesamte
riesige Vermögen, das unsere Familie angehäuft hat, schicke noch mehr
Leute zur Großen Roten Insel, um die Pflanzen aufzuspüren, und ruhe
nicht eher, als bis du sie entdeckt hast. Ich habe sehr wohl gemerkt,
wieviel neues Leben mir der Extrakt geschenkt hat.«
    »Du …?«
    »Ja, natürlich habe ich es gewußt, mein Sohn. Keine Süße kann
diesen ganz besonderen bitteren Geschmack übertönen.«
    »Warum dann …«, stammelte Hai.
    »Man könnte sagen, ich habe mich mit dir und deiner Mutter
verschworen, um euch die zusätzliche Angst zu ersparen, daß meine
letzte Hoffnung auch noch schwinden könnte. Ich hatte natürlich darauf
gehofft, wie das jeder Sterbliche tun würde, aber mit den Vorbehalten,
die einem Wissenschaftler ziemen. Ich weiß nicht, ob der Extrakt mich
letztlich hätte retten können. Ich kann nur bestätigen, daß er einen
lebensspendenden Energiestrom durch meine Adern geschickt hat. Führe
die Suche fort, mein Sohn, suche weiter.«
    »Aber Vater«, brachte Hai unter Tränen hervor, »das Schiff
müßte jeden Tag einlaufen. Der Kalif selbst hat einen ständigen
Beobachter am Hafen postiert, so daß der Extrakt, sobald das Schiff
angelegt hat, unverzüglich mit Sonderboten nach Córdoba gebracht wird.«
    »Ich bezweifle, daß dazu noch Zeit ist«, murmelte Da'ud. »Ein
Mann spürt es, wenn … wenn …«
    Er umfaßte Hais Hand ein wenig fester, und seine dunklen, nun
nicht mehr ruhigen Augen glänzten vor Tränen, während Hai hemmungslos
schluchzte.
    »Weine nicht, mein Sohn. Weder die Weisesten noch die
Mächtigsten können dem entgehen, was Gott oder die Natur, je nachdem,
an was man im innersten Herzen glaubt, jedem Lebewesen bestimmt hat.«
    Er schloß kurz die Augen, sammelte all seine schwindenden
Kräfte, um seinen Gedanken zu Ende zu bringen: »Wie ich schon gesagt
habe, ich kann dich nicht dazu zwingen, am Hofe des Kalifen in meine
Fußstapfen zu treten, aber ich muß dich bitten, die Leitung der
jüdischen Gemeinde zu übernehmen, wie es dein Vater und dein Großvater
vor dir getan haben. Mit deinem Geburtsrecht, deiner Bildung und deinem
Wohlstand scheinst du für diese Aufgabe hervorragend geeignet, und

Weitere Kostenlose Bücher