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Die Zypressen von Cordoba

Die Zypressen von Cordoba

Titel: Die Zypressen von Cordoba Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yael Guiladi
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Leiden
kuriert hatte, und schlichen schüchtern über den Flur, sprachen ein
wenig scheu ihr Beileid aus, wischten sich eine Träne aus dem Auge und
zogen sich eilig wieder zurück. Juden aus sämtlichen Gemeinden Spaniens
mischten sich mit christlichen Gesandten und moslemischen
Würdenträgern, wurden ohne Ausnahme wieder einmal daran erinnert, daß
angesichts des Todes alle Menschen gleich sind. Von all dem drang nur
wenig zu Hai und Sari vor, die sich in ihrem grenzenlosen Schmerz
zurückgezogen hatten. Erst viel später hörten sie von Da'uds
Schwestern, daß ganz al-Andalus das Gedächtnis an seinen größten Juden
geehrt hatte, wie man es noch nie zuvor erlebt hatte.
    Der Kalif, sagte man, sei untröstlich. Tagelang hatte er sich
in sein Studierzimmer eingeschlossen, jegliche Nahrung verweigert, nur
ein wenig Wasser getrunken, bis seine Vertrauten schon um sein Leben
bangten. Als seine Leibärzte sich ihm zu nähern versuchten, um den
Reizhusten zu lindern, den er sich zugezogen hatte, verweigerte er
ihnen den Zutritt. »Abu Suleiman war der einzige Arzt, zu dem ich
grenzenloses Vertrauen hatte«, murmelte er verächtlich. Völlig
niedergeschlagen zog er sich dann wieder in seine stummen Grübeleien
zurück, und alle Angelegenheiten des Kalifats, dessen Schicksal er zu
bestimmen hatte, waren ihm völlig gleichgültig.
    Wie ein Gespenst bewegte sich Sari durch einen Nebel, die Arme
um den Leib geschlungen, als müsse sie sich vor der Kälte der Nacktheit
schützen, die sie fühlte. Von Zeit zu Zeit streckte sie die Hand aus,
tastete mit ihren zarten Fingern die Leere ab, auf der Suche nach einer
Gegenwart, die verschwunden war und ihre halbe Seele mitgenommen hatte.
Verletzt und verletzlich, wie sie war, wollte sie gar nichts mehr, bat
um nichts. Denn was sie wirklich wollte, das konnte ihr nichts und
niemand wiedergeben. Nicht einmal die Zärtlichkeit ihres Sohnes konnte
sie trösten. In seinem überwältigenden Schmerz über den Tod des Vaters,
den Saris stumme Trauer noch vergrößerte, die herzzerreißender war als
jedes Trauergeschrei, verfiel Hai in eine tiefe Melancholie, die ihn
viele Wochen lang völlig handlungsunfähig machte.
    Erst als die Überreste von Ralambos
Expedition zurückkehrten, wachte er schlagartig aus seiner Lethargie
auf. Es packte ihn eine wilde Wut gegen das grausame und ungerechte
Schicksal bei dem Gedanken, daß ein so kurzer Zeitraum zwischen dem Tod
seines Vaters und einer Überlebenschance gelegen hatte, und er stürzte
sich mit aller Kraft auf die vor ihm liegende Herausforderung. Wie er
es vorhergesehen hatte, war Ralambo nicht unter den wenigen
Überlebenden der gefährlichen Reise. Der Kapitän des Schiffes, der
zusammen mit dem Boten des Kalifen nach Córdoba geritten war, erklärte
knapp:
    »Alles ging gut, bis wir die Große Rote Insel erreichten. Dort
gingen wir im Hafen vor Anker, und Ralambo verließ allein das Schiff.
Am folgenden Tag kehrte er mit diesem Kästchen zurück, das fest
verschlossen und versiegelt war und das er mir für die restliche Reise
anvertraute, mit der strikten Auflage, es Euch zu überbringen, falls
ihm etwas zustoßen sollte.«
    Während er so sprach, reichte der Kapitän Hai ein grob
geschnitztes Kästchen aus Rosenholz, dessen primitives Siegel noch
unverletzt war.
    »Aber die Pflanzen?« wollte Hai wissen.
    »Leider, leider ist das eine ganz andere Geschichte. Wir
folgten den Anweisungen Ralambos und segelten zur westlichen Spitze
Südafrikas. Dort gingen wir in einer Bucht vor einer recht trockenen
und unwirtlichen Gegend vor Anker. Als die Nacht hereinbrach, führte
uns Ralambo auf nackten, leisen Sohlen ins Landesinnere, in ein Gebiet,
das von den seltsamsten Pflanzen überwuchert war, die ich je zu Gesicht
bekommen habe.«
    »Wieso seltsam?«
    »Sie wuchsen in großen Büscheln speerförmiger, spitzer Blätter
mit sägezahnartigen Rändern.«
    »Was ist daran so seltsam?«
    Der Kapitän zögerte, wollte seine tief sitzende Angst vor
allem Unbekannten nur ungern eingestehen.
    »Versucht es mir zu erklären«, drängte ihn Hai.
    »Nun, Meister, die Blätter waren so verdreht und gewunden wie
die langen drohenden Finger einer bösen Zauberin. Aus den alten
Blättern sprossen neue in Büscheln hervor. Diese Blätter waren
schmaler, aber sie wanden und rollten sich auch in alle Richtungen wie
die Arme eines todbringenden Kraken.«
    »Ich verstehe Eure Sorge«, nickte Hai mitfühlend und ermutigte
den Kapitän weiterzuerzählen.
    »Ralambo

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