Die Zypressen von Cordoba
ich
hege keinerlei Zweifel, daß du trotz deiner Jugend mit der gleichen
Hingabe das Amt zum Wohl unseres Volkes ausfüllen wirst, wie das deine
Vorväter getan haben. Daß du dich so bescheiden und diskret verhalten
wirst, wie das im Haus Ibn Yatom schon jeher üblich war, muß ich nicht
betonen. Diese Eigenschaften sind dir angeboren.
Ebenso überflüssig ist es, dich an deine Verantwortung für
deine Mutter zu erinnern, die einzige Frau, die ich je geliebt habe.
Aber ich habe das Gefühl, daß ich auch von der anderen Familie reden
muß.« Hier hielt Da'ud inne, wählte seine Worte sorgfältig. »Du hast
nie ein Geheimnis aus deiner Zuneigung zu ihnen gemacht. Als du ein
Kind warst, war dies zweifellos spontan. Es war nur natürlich, daß du
dich zu deiner Halbschwester hingezogen fühltest, mit der du die ersten
Jahre deines Lebens unter diesem Dach verbracht hast, nur natürlich,
daß du später die Gesellschaft der jungen Leute deiner Generation
gesucht hast. Aber als du älter wurdest, spürte ich, daß du dich in
gewisser Weise verpflichtet zu fühlen schienst, sie irgendwie für das
zu entschädigen, was du genau wie deine Mutter für eine ungerechte
Behandlung meinerseits hieltest. Ich habe nie meinen Frieden mit der
Situation geschlossen, die ich geschaffen hatte. Und doch, wenn ich
jetzt vom Totenbett zurückblicke, bin ich nach wie vor überzeugt, daß
ich unter den unwahrscheinlichen Umständen, die sich damals ergeben
haben, im besten Interesse aller Beteiligten gehandelt habe. Als ich
Djamila heiratete, um mir einen Erben zu sichern, konnte ich nicht
ahnen, daß die Folge davon sein würde, daß Sari dich, meinen einzigen
Sohn, zur Welt bringen würde. Das ist jedoch eine Angelegenheit, die
nur deine Mutter ganz persönlich betrifft. Wenn sie möchte, kann sie
dir eines Tages davon erzählen. Jedenfalls gab es, nachdem du zur Welt
gekommen warst, keinen Platz mehr für Djamila und unsere Tochter, weder
in meinem Herzen noch in meinem Haus. Es schien mir angemessener, ihnen
ein Leben in bescheidener menschlicher Würde zu ermöglichen, als sie
hinter einer ehrbaren Fassade ständige Demütigung erleiden zu lassen.
Daß ich unrecht daran tat, sie so herabzusetzen, darüber gibt es keinen
Zweifel. Aber ich hatte keine Gewalt über diesen Impuls. Verstehe und
akzeptiere dies, mein Sohn, aber falls du das nicht kannst, verurteile
mich nicht.
Wenn die Zeit gekommen ist, wirst du ebenfalls heiraten. Wie
ich bist auch du in der glücklichen Lage, bei der Wahl deiner Ehefrau
nicht auf Reichtum oder Rang achten zu müssen. Folge den Neigungen
deines Herzens. Dich, den Sohn der Sari und des Da'ud, werden deine
Gefühle nicht trügen. Das ist alles, was ich dir zu sagen habe, mein
Sohn. Jetzt möchte ich mich ausruhen.«
Hai half seinem Vater, sich in die Kissen zurückzulegen. Sanft
breitete er die Felldecke über ihn, während ihm die Tränen über die
Wangen strömten und sich mit denen seines Vaters vermischten, dann
küßte er ihn auf die Stirn und wünschte ihm eine ruhige Nacht.
Aber sie sollte ihm nicht gegönnt sein.
Gegen Morgen durchschnitt ein herzzerreißender
Schmerzensschrei den dämmernden Tag. Der Anblick, der sich Sari bot,
als sie zu Da'uds Bett eilte, ließ sie vor Schreck erstarren. Aus allen
Körperöffnungen strömte grünlich-schwarzer Schleim, der todbringende
Körpersaft, der ihn von innen ausgezehrt hatte. Hai streichelte ihm die
Stirn, umfaßte sein hageres Gesicht mit Händen, die dem Vater die
einzige Arznei schenkten, die er noch anbieten konnte: seine Liebe und
sein unendliches Mitleid. Trotz all seines medizinischen Wissens, trotz
seiner Vertrautheit mit dem Tod mußte er einfach versuchen, den
schwindenden Lebensgeist seines Vaters mit zitternden Fingerspitzen
aufzuhalten und für alle Ewigkeit zu bewahren. Der Schmerz darüber, daß
ihm dies niemals gelingen konnte, war tief in sein Gesicht gegraben.
Beim ersten Morgenlicht war der Kampf ausgestanden. Von seiner
Niederlage zerschmettert, vom Schmerz überwältigt, schloß Hai seine
Mutter in die Arme und weinte bitterlich mit ihr.
TEIL III
Hai und Amram
30
D ie rituelle Trauerwoche nach Da'uds Tod
brachte einen endlosen Strom von Beileidsbesuchern ins Haus Ibn Yatom.
Alle wollten dem Mann die letzte Ehre erweisen, den sie geschätzt,
bewundert, geliebt – oder gefürchtet – hatten. Die
Großen legten beim Eintreten Stolz und Hochmut ab. Die Bescheidenen
erinnerten sich daran, wie Da'ud sie von diesem oder jenem
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