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Die Zypressen von Cordoba

Die Zypressen von Cordoba

Titel: Die Zypressen von Cordoba Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yael Guiladi
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›Wundermittel‹ – dem
Lebenselixier, wie Demitrios es genannt hatte – hatte er seine
einzige Hoffnung auf eine Heilung gesehen, und sein
Selbsterhaltungstrieb hatte alle anderen Erwägungen beiseite gefegt.
    Aber wo war Ralambo? Als die Expedition aufgebrochen war,
hatte Hai sie für so gefährlich gehalten, daß er Zweifel hegte, ob er
den Mann je wiedersehen würde. Doch jetzt begann er genau wie sein
Vater zu beten, mit der ganzen Dringlichkeit, zu der er fähig war,
irgendein Höheres Wesen anzuflehen, das es irgendwo im Chaos der
Schöpfung gab. Er flehte, Ralambo möge mit dem Extrakt zurückkommen,
ehe der Beutel leer war und nichts mehr zwischen seinem Vater und
seinem unvermeidlichen Abstieg ins Grab stand.
    Sari konnte das Zittern ihrer Hände nicht mehr verbergen, als
sie das letzte Körnchen des bräunlichen Pulvers in ihr Konfekt
mischte – zusammen mit einer Träne, die in die Schüssel
tropfte. Hai achtete sorgfältig darauf, daß er jeden Tag zu der Zeit zu
Hause war, wenn Da'ud von seiner Siesta erwachte. Mit seiner
einzigartigen Mischung aus Mitleid, Zärtlichkeit und sensibler Fürsorge
nahm er den Vater mit einer freundschaftlichen Geste beim Arm,
überspielte so, wie sehr er ihn stützte. Dann spazierten sie gemeinsam
unter den Zypressen des Wassergartens auf und ab, bis Hai bemerkte, daß
Da'uds Schritte sich verlangsamten. Es sei an der Zeit, einen Umschlag
auf die schmerzenden Gelenke aufzubringen, schlug er dann vor, und
trotz der lauen Luft des Sommerabends breitete er seinem Vater die
üppige Pelzdecke, die der Kalif ihm mit allen guten Wünschen für eine
baldige Genesung zugesandt hatte, über die Knie. Dann saß er neben ihm,
lehnte sich auf dem Diwan zurück und knabberte schwach an den saftigen
Früchten und köstlichen Süßigkeiten, mit denen Sari ihn zu locken
versuchte.
    Zwei- oder dreimal in der Woche schickte al-Hakam einen
persönlichen Gesandten, um sich nach der Gesundheit seines Arztes zu
erkundigen und zu fragen, ob er ihm in irgendeiner Weise behilflich
sein könne. Der Bote vertraute Hai mehr als einmal an, der Kalif sei
außerordentlich bestürzt über Da'uds Krankheit. Sonst schickte er
seinen engsten Beratern seinen Hofarzt zur Behandlung, aber wen konnte
er dem Arzt schicken, der sie alle an Fähigkeit und Wissen übertraf?
Und wer würde ihn behandeln, wenn seine Zeit gekommen war, sollte der
große Da'ud sich nicht erholen?
    Auf Anordnung des Kalifen wurde der Hafen von Sevilla genau
beobachtet, so daß man die kostbare Substanz gleich, sobald die
Expedition zurückkehrte, unter schwerster Bewachung in aller Eile nach
Córdoba bringen konnte. Woche um Woche zog sich dahin. Sari wurde immer
blasser und unruhiger, während Da'ud zu einer gespenstischen, beinahe
schon durchsichtigen Gestalt abmagerte. Manchmal war es, als hätte sich
sein Geist schon vom Körper befreit. Hai saß stundenlang weinend bei
ihm, und das Mitleid schien ihn von innen auszuhöhlen. Er versuchte mit
seinen Gedanken Ralambo zu größerer Eile anzutreiben, strengte sich so
sehr an, daß er beinahe die Grenzen seiner Kraft erreicht hatte. Er
weigerte sich, die Hoffnung aufzugeben, in Resignation zu verfallen,
der Enttäuschung zu erliegen, die jeder Arzt verspürt, der nicht
verhindern kann, daß ein Leben, das er umsorgt hat, ihm aus den Händen
gleitet. Morgen, übermorgen, spätestens in der nächsten Woche würde die
Expedition mit dem Extrakt zurückkehren, der Da'uds Verfall Einhalt
geboten hatte, und er würde von dem tödlichen Abgrund zurücktreten, an
dessen Rand er jetzt mit schwankenden Schritten stand.
    So saß Hai eines Abends und konzentrierte seine Gedanken, als
könnte er durch seinen bloßen starken Willen die Rückkehr der
Expedition beschleunigen, als sein Vater die matten Augen aufschlug. Er
nahm die lange, schmale Hand seines Sohnes – die so sehr Saris
Hand glich – in die seine, die inzwischen kalt, bläulich und
knochig geworden war, und sprach mit einer Festigkeit in der Stimme,
die man lange nicht vernommen hatte: »Es ist an der Zeit, daß wir
miteinander reden, mein Sohn. Es gibt Dinge, die gesagt werden müssen,
solange ich noch die Kraft dazu habe. Mein Leben lang habe ich die
Hoffnung genährt, daß du in meine Fußstapfen als Hofarzt und Vertrauter
des regierenden Kalifen treten würdest, daß du zu Ruhm, Macht und noch
größerem Reichtum gelangen würdest als ich. Und doch habe ich in dir
immer eine Abneigung gegen die brutale Wirklichkeit des

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