Die Zypressen von Cordoba
Milchsuppe oder irgendeine
andere Köstlichkeit, die Sari liebevoll für ihn zubereitete, konnten
seinen Verfall aufhalten.
»Es ist die Kälte«, flüsterte er, ein trauriges Lächeln auf
den grauen Lippen, als er sich wieder einmal anschickte, sich zu Bett
zu begeben. »Wenn der Sommer kommt, geht es mir bestimmt besser.«
Doch als man die ersten Regungen des Frühlings spürte und süße
warme Lüfte die stillen Tümpel und eleganten Zypressen der großen Stadt
Córdoba liebkosten, nahm Da'ud beinahe gar nichts mehr zu sich. Panik
ergriff seine Frau und seinen Sohn. Nacht für Nacht saß Hai über
Traktate und Abhandlungen gebeugt, suchte nach einem Heilmittel, das
man im Laufe der Jahrhunderte vielleicht vergessen oder übersehen
hatte. Er klappte gerade sein Exemplar von Galens De Alimentorium
Virtutibus zu, nachdem er wieder einmal
eine Nacht erfolglos gesucht hatte. Da fielen seine müden Augen auf
einen Abschnitt, den er schon viele Male gelesen hatte:
»Im Altertum lebten die Menschen beinahe ausschließlich von
Aloe, weil sie den Körper nährt.«
Aber Galen hatte nicht angegeben, ob diese Menschen krank oder
gesund waren. Eindeutig würde doch ein Patient, der so geschwächt war
wie sein Vater, die abführende Wirkung einer solchen Nahrung nicht
vertragen. Und doch … und doch … Er erhob sich und
ging in der Stille der Nacht unruhig im Raum auf und ab. Die flackernde
Kerze warf zitternde Schatten an die Wände. Was, wenn der Extrakt, der
sich in Ralambos Beutel befand, die gleiche Wirkung zeitigte? War er so
teuer, weil seine lebensstärkende Wirkung nicht durch seine
wohlbekannte läuternde Wirkung aufgehoben wurde? Sollte er es
versuchen? Schon lange war ihm klar, daß sein Vater dahinsiechte, weil
die Entfernung der Geschwulst trotz allem die Zersetzung seiner inneren
Organe nicht hatte aufhalten können. Das war zweifelsohne seinem Vater
ebenfalls klar – auch wenn Da'ud nie etwas davon hatte
verlauten lassen. Er hatte schließlich selbst bei seinem Vater die
gleiche Krankheit behandelt. Hai hatte nicht viel zu verlieren, schien
es, wenn er es versuchte, ein wenig, nur ein wenig, nach und
nach …
Er besprach das Thema vorsichtig mit Sari. Sie hatte keine
Einwände gegen das Experiment. »Aber versuche es erst nur mit einer
sehr kleinen Menge«, mahnte sie ihn zur Vorsicht. Um den bitteren
Geschmack des Pulvers zu übertönen, schlug sie vor, Hai solle es in
eine Süßigkeit mischen, die sie manchmal aus Eibischwurzel bereitete.
Das war nicht nur eine Köstlichkeit, die Da'ud besonders gerne mochte,
er hatte sie auch selbst Ya'kub verschrieben, weil sie eine lindernde
Wirkung auf seine verborgenen Verletzungen hatte.
Als die Paste vorbereitet war, rollte Sari sie zu kleinen
Kugeln, die sie auf einem silbernen Tablett neben ihren Mann stellte,
sorgsam darauf bedacht, sie ihm nicht aufzudrängen, damit er nicht
gegen ihre dringende Bitte aufbegehrte. Zu ihrer ungeheuren
Erleichterung knabberte er an dem Konfekt, aß es Stück für Stück den
ganzen Tag hindurch, bis er am Abend schließlich alles verspeist hatte.
War es Wunschdenken, oder schien es ihm am nächsten Morgen wirklich ein
wenig besser zu gehen? Jedenfalls nicht schlechter. Auf Da'uds
Verlangen bereiteten sie am nächsten Tag eine größere Menge zu. Am
Abend waren nur noch ein, zwei Kugeln übrig. Als Da'ud am nächsten
Morgen aufstand, schien sein Schritt fester, seine Haut weniger grau.
Sari lächelte und sagte ihm, wieviel besser er aussehe, worauf er ihr
mit einem Zwinkern in den Augen, die ein wenig von ihrem Glanz
zurückbekommen hatten, antwortete: »Ich habe dir doch gesagt, es würde
mir besser gehen, sobald das Wetter sich erholt hat.«
Während der folgenden Tage stand ein ständiger Vorrat an
Eibischkugeln griffbereit neben Da'ud, und jedesmal war ein wenig von
Ralambos Extrakt hinzugefügt. Zwei Wochen später konnte es keinen
Zweifel mehr geben: Da'ud hatte nicht unter der abführenden Wirkung zu
leiden gehabt, sein Zustand hatte sich merklich verbessert. Aber nun
ergriff Hai und Sari Panik. Beinahe die Hälfte des Beutelinhalts war
bereits verbraucht. Wenn Ralambo nicht innerhalb des kommenden Monats
eintraf, wäre alle Hoffnung verloren, Da'ud noch zu retten. Wie recht
sein Vater gehabt hatte, dem glücklosen Eingeborenen so fest
gegenüberzutreten, mußte Hai zugeben. Obwohl er mit niemandem darüber
geredet hatte, war sich Da'ud offensichtlich über die Art seiner
Krankheit im klaren. In dem
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