Diebe
ich mir nur, dass der Mann nicht so glücklich sein wird, wenn er jemand anders in der Stadt auf seinem Motorrad fahrn sieht.«
»Lucien! Wen kümmert’s, ob der Mann glücklich ist oder nicht mehr schlafen kann? Kommst du mit, weg von hier?«
»Warte.« Er beugt sich in seine kleine Anbauhütte und kramt einen kurzen Moment darin herum, bevor er, einen mickrigen Baumwollsack über die Schulter geschlungen, wieder auftaucht. Er nickt Baz zu, die dreht sich ohne ein weiteres Wort um und rennt los, und Lucien folgt ihr dicht auf den Fersen.
Sie läuft schnell, bremst nur einmal kurz ab, als sich in einer Gasse eine Traube von Menschen gebildet hat, alle erregt, zornig, sorgenvoll. Das Mädchen und der dürre Kerl, die sich an ihnen vorbeidrücken wollen, erregen jedoch wenig Interesse. »Weiter kommen sie jetzt nicht mehr«, hört Baz eine Person sagen. »Die machen alles platt«, sagt ein anderer. »Nur ’n Dummkopf bleibt in seinem Haus sitzen, wenn’s abgerissen wird.«
Zwanzig Minuten später erreichen sie den ausgetrockneten schwarzen Uferstreifen an der Flusskrümmung gegenüber ihrem rostenden Schiff. Die Sonne steht hoch am Himmel, es wird langsam richtig heiß. »Warte, Lucien.« Sie kriecht unter den Rumpf des umgestürzten Bootes und zieht eine der Flaschen mit Trinkwasser hervor, die sie dort gebunkert hat. Sie bietet sie zuerst ihm an und nimmt dann selbst zwei sorgsame Schlucke. Ihre Überlegung ist: Um zu der Brücke zu kommen, wo sie das Motorrad versteckt haben, braucht es ungefähr zwei Stunden, aber was ist, wenn die Maschine nicht mehr da ist? Dann hängt sie dort ganz am Rand der Stadt, wie bestellt und nicht abgeholt, muss zu Fuß zurück, und bis sie dann beim Krankenhaus angekommen ist, wird es später Abend sein, und sie hat keine Chance mehr, zu Demi zu kommen, falls er dann überhaupt noch da ist. Die verabredete Zeit war drei Uhr nachmittags. Es gibt nur eine Möglichkeit: Sie geht direkt zum Krankenhaus, und falls das Motorrad noch da ist, wo sie es gelassen haben, kommt Lucien hinterher.
»Lucien, hier.« Er sitzt ein Stück von ihr entfernt, im Schatten. Die Beine angezogen, das Kinn fast auf den Knien, so starrt er über den Schlamm hinweg. Er dreht sich zu ihr und sieht sie an. Sie hat ihm eine Hand entgegengestreckt.
»Was haste da?«
»Dollars.«
»Das seh ich.«
»Du brauchst vielleicht Benzin.« Er kommt herbei und nimmt die Zwanziger an sich.
»Das ist aber mehr als ’ne ganze Tankfüllung, was du da hast.«
Sie zuckt mit den Schultern. »Nimm auch den Schlüssel.« Dann erklärt sie ihm ihren Plan: Er geht zur Brücke, wo sie und Demi das Motorrad versteckt haben, und fährt damit zum Krankenhaus, und wenn alles gut geht, dann werden sie ihn dort irgendwo in der Nähe treffen. Sie zieht das Handy hervor und sieht nach, welche Nummer es hat. »Du rufst diese Nummer an. Wenn jemand anders rangeht, weißt du, dass es nicht gut gegangen ist, und dann kannst du machen, was du für das Beste hältst. Okay?«
Er sieht sie ernst an. »Du gibst mir diesen Schlüssel und dieses Geld, Baz. Was soll mich dran hindern, damit einfach abzuhaun? Was ist los mit dir? Vertraust du mir oder was? Hat Fay dir nichts beigebracht?«
Sie blickt ihm in die Augen. Für ziemlich seltsam haben ihn immer alle gehalten. Die Kinder haben manchmal versucht, ihn zu schikanieren, etwa in der Art, wie Hunde einem alten oder kränklichen Hund zusetzen. Selbst Baz hat sich nie länger als nötig bei dem Schlechtwasserbrunnen aufgehalten. »So schlau ist Fay gar nicht«, sagt sie nach einer Weile, aber was ihr eigentlich im Kopf herumgeht, ist, dass es Lucien war, der vor langer Zeit zu ihr gesagt hat, dass man die Hand, die jemand anders einem zum Halten gegeben hat, niemals loslässt. Fay scheint keine Probleme damit zu haben, jeden von ihnen loszulassen, wenn es ihr gerade passt. »Ich vertrau dir, Lucien.«
Auf seinem Gesicht breitet sich langsam ein Lächeln aus, dann wischt er sich mit seinem feuchten Hemdsärmel über die Stirn. »Unter der Brücke, eh?« Sie nickt. »Okay. Wir sehn uns in der Stadt, Baz. Pass auf dich auf.« Und damit dreht er sich um und läuft los. Sein dünner Schatten wandert zitternd über den glänzenden Schlamm.
Sie steht auf. »Lucien«, ruft sie ihm nach. Er bleibt stehen und dreht sich um. »Falls irgendwas schiefläuft, dann kommen wir hierher zurück.«
Er hebt eine Hand, dann läuft er weiter.
Sie nimmt noch einen Schluck von dem warmen Wasser. Öliger Rauch
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