Diebe
Señora Dolucca, Mutter und Sohn auf Krankenhausbesuch. Baz fragt sich, warum er die Pistole in ein Taschentuch gewickelt hat. Vielleicht will er verhindern, dass sein teures Sakko mit Öl beschmiert wird.
Domino weist sie beide an, vor ihm zu gehen. »Kommt nicht auf die Idee, weglaufen zu wollen«, knurrt er. »Wenn ihr irgenwelche Zicken macht, brech ich euch sämtliche Knochen, nur damit ihr Bescheid wisst.«
Was können sie noch tun, wenn Demi schon aufgegeben hat? Alle Großspurigkeit ist von ihm gewichen, kein König der Straße mehr, nur noch ein kleiner Mann, nicht viel mehr als ein geprügelter Hund. Baz hält sich dicht neben ihm, ihre Schultern berühren sich fast.
Sie gehen durch den Flur, am Büro des Wachmannes vorbei. Der Wachmann sitzt da, regungslos, in genau derselben Haltung wie vorhin, doch diesmal erkennt sie die dunkle Nässe in seinen Haaren, den blutgetränkten Kragen. »Demi, hast du gesehn?«
Domino gibt ihr einen Stoß zur Warnung, und sie zuckt zusammen, denn ihr Rücken tut noch weh an der Stelle, wo die Tür sie getroffen hat. Lieber grün und blau als tot. Flur und Treppenhaus lassen das Klacken von Señora Doluccas Stöckelschuhen und das leichte Schlurfen Demis, der den rechten Fuß nachzieht, widerhallen. Ärzte und Krankenschwestern eilen an ihnen vorbei, doch niemand schenkt Eduardos kleiner Gesellschaft nähere Beachtung: eine Familie, wird man wohl denken, die machen ja furchtbar ernste Gesichter – haben wahrscheinlich einen im Sterben liegenden Verwandten besucht.
Dieser Wachmann, denkt Baz, das war doch nur ein harmloser dicker Mann, der sein Gebäck liebte, seine Fernsehsendung. Wer würde ihm so etwas antun?
Eduardo neigt seinen goldenen Schopf zu seiner Mutter hin, murmelt ihr etwas ins Ohr, und Baz weiß, dass natürlich er es war.
Dass es Eduardo nichts bedeutet, ein Menschenleben einfach auszulöschen, das kann sie sich denken, aber warum er das ausgerechnet in diesem Fall getan hat, ist ihr unbegreiflich. Dieser dicke Mann hätte jederzeit das Tor aufgeschlossen für den Sohn und die Ehefrau des Polizei-Captain. Vielleicht hat er ihn getötet, weil er es konnte, oder vielleicht, um Señora Dolucca zu demonstrieren, wozu dieser Sohn, den sie bei sich aufgenommen hat, fähig ist. Und es auch Demi zu zeigen. Ja, das könnte sein.
Als sie zur Eingangshalle gelangen, nimmt Eduardo Señora Doluccas Arm, hält sie fest, als müsse sie gestützt werden. Domino treibt Baz und Demi an, dicht dahinter zu bleiben. Eduardo reicht alle Besucherscheine zusammen am Empfang ein. Der diensthabende Wachmann ist so gelangweilt, dass er kaum einen Blick darauf wirft.
Wir sind jetzt unsichtbar, denkt Baz.
Der Stundenzeiger der Uhr am Eingang steht gerade auf der Drei, genau die Zeit, zu der Baz am Wachmann hatte vorbeischleichen wollen, um das Eisentor aufzuschließen und mit Demi zu entkommen, und jetzt spazieren sie hier unbehelligt aus der Vordertür heraus. Entkommen sind sie allerdings nicht, haben nur ein Übel gegen das andere eingetauscht.
Draußen schlägt ihnen die Hitze so massiv entgegen, dass es schon Anstrengung kostet, nur zu atmen. Der Wachhabende am äußeren Eingang bleibt schön in der relativen Kühle seines Häuschens sitzen. Durchs Fenster sieht Baz, wie er mit Blick auf Señora Dolucca den Schirm seiner Mütze berührt, bevor er die Schranke hochgehen lässt. Sie treten hinaus auf die Straße. Eine Straßenbahn rattert vorbei, Autos, ein Fahrrad. Auf der anderen Seite der Straße sitzen Männer vor dem Café, wo Baz tags zuvor gewartet hat, der Zeitungsverkäufer hat sich mit seinem Hocker auf der Schattenseite des Kiosks platziert. Alltagsleben. Niemand weiß, dass der smarte junge Mann, der dort über den Gehsteig spaziert, eine säuberlich in ein Taschentuch gewickelte Pistole in der Tasche trägt, dass die Frau neben ihm die völlig eingeschüchterte Gattin des Polizei-Captain ist und der Junge hinter ihm ein gebrochener Dieb mit einer Schusswunde am Arm.
Eduardos Wagen steht ein Stück die Straße hinunter, halb auf dem Gehsteig geparkt. Ein Mann sitzt hinterm Steuer. Offenbar kann er sie in seinem Seitenspiegel sehen, denn die beiden Türen auf der Gehsteigseite springen auf. Eduardo beschleunigt den Schritt, und obwohl Domino Demi unter Flüchen und Verwünschungen vorwärtsschiebt, entsteht eine Lücke zwischen Eduardo und Señora Dolucca auf der einen und ihnen auf der anderen Seite. Könnten wir weglaufen?, überlegt Baz. Falls jetzt eine
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