Diebe
Straßenbahn vorbeifährt, könnten wir loslaufen und hinten draufspringen? Könnten wir das schaffen, bevor Domino uns wieder einfängt oder seine Pistole zieht? Bestimmt ist auch er bewaffnet, ein Mann wie er, der hat mit Sicherheit eine Pistole, ein Messer und Hände, die töten können. Dennoch, vielleicht könnten sie es schaffen. Verstohlen sieht sie zu Demi hinüber, erregt seine Aufmerksamkeit. Können sie?
Er versteht ihren Blick. Ein leichtes Kopfschütteln und ein einzelnes Wort, nicht laut ausgesprochen, aber sie weiß trotzdem, was es sagen soll: »Lauf.«
Sie wendet den Kopf. Wie könnte sie – ganz allein? Sie nimmt seine Hand. Was geschieht, wird ihnen beiden geschehen. Basta.
Drei Schritte noch bis zum Auto, Eduardo steht abgewandt, damit beschäftigt, Señora Dolucca beim Einsteigen zu assistieren. »Lass seine Hand los«, kommt es verächtlich von hinten. »Seid ihr kleine Babys oder was?« Es folgt ein weiterer Stoß und Demi gerät leicht ins Stolpern. Automatisch dreht Baz sich zu ihm, um ihn zu stützen, und da sieht sie ein Auto, das plötzlich in die Mitte der Straße ausschwenkt, und in entgegengesetzter Richtung ein Motorrad, das von der anderen Straßenseite, dem Verkehr entgegen, mit aufheulendem Motor herübergeschossen kommt.
27
Er sitzt über den Lenker gebeugt, höchste Konzentration im Gesicht. Ein Mann, der mit einer Tüte Gemüse im Arm über die Straße eilt, kreuzt seinen Weg. Lucien bremst so heftig, dass sein Hinterrad wild nach rechts ausschert, bevor es wieder in die Spur kommt. Der Mann springt zur Seite, schüttelt schimpfend die Faust, doch Lucien ist schon weiter, schießt im Zickzack durch den Verkehr, sein Vorderrad knallt auf den Bordstein, der Motor heult auf.
Baz zieht Demi zurück, während Domino herumwirbelt, sich auf ein Knie fallen lässt und gleichzeitig eine Pistole zieht, doch es ist schon zu spät. Lucien wirft seinen Körper nach rechts, die Maschine schleudert herum wie ein Klappmesser und trifft Domino voll, katapultiert ihn gegen die Außenmauer des Krankenhauses, wo er in sich zusammensinkt und blutüberströmt, der rechte Arm in einem unnatürlichen Winkel abstehend, liegen bleibt.
Lucien hievt die Maschine wieder in die Senkrechte, während Baz Demi auf den Rücksitz drängt. Sie blickt kurz zu Eduardo, der schon halb eingestiegen ist, sich jetzt mit ungläubigem Gesicht zurückwendet, während sein Fahrer die Tür öffnet, den Arm über das Dach ausstreckt und in ihre Richtung zeigt. Ein Knall ertönt und ein kurzes Pfeifen, doch Baz klemmt sich bereits hinter Demi auf den Rücksitz, schlingt die Arme fest um ihn, während Lucien das Motorrad in Bewegung setzt, auf die Straße rumpelt und Gas gibt, und dann schießen sie mit einem jähen Ruck davon. Vielleicht gibt es noch einen zweiten Schuss, vielleicht auch nicht – sie weiß es nicht. Sie hat die Augen fest geschlossen, das Gesicht in Demis Rücken gedrückt. Falls die Kugel kommt, wird sie es sein, die getroffen wird, und das wäre dann also die Art, wie sie ihr Leben beendet.
Aber die Kugel kommt nicht, und Eduardo wird ihnen zwar sicherlich folgen oder es jedenfalls versuchen, doch sein Auto steht in der verkehrten Richtung, und es wird ihn wertvolle Sekunden kosten, auf der belebten Straße zu wenden. Sie haben einen guten Start und er wird sogar noch besser durch Luciens Fahrweise: Er schlängelt sich zwischen den Autos hindurch, fährt über einige rote Ampeln, biegt wahllos erst nach rechts, dann wieder nach links ab und entfernt sich immer weiter von den Hauptstraßen.
Nach fünf Minuten bringt er das Motorrad hinter einer Tankstelle in einem Armenviertel auf der Westseite der Stadt zum Stehen. Für einen kurzen Moment bleiben sie auf der ruhenden Maschine sitzen, Hitze steigt von dem harten Untergrund auf, hüllt sie ein, jetzt, wo sie nicht mehr in Bewegung sind. Auf der anderen Seite der Tankstelle, wo sich möglicherweise so etwas wie eine Werkstatt befindet, hört man jemanden auf Blech schlagen, hier jedoch gibt es nichts als kaputte und verrostete Autoteile und einen Berg von alten Reifen.
Baz ist die Erste, die sich rührt und vom Rücksitz gleitet. Sie fühlt sich schwindelig, unsicher auf den Füßen, ein bisschen high sogar, wie die Männer in den Raucherhöhlen, die es im Barrio gab. Zu viel in zu kurzer Zeit – aber alles gut jetzt, alles in Sicherheit. Irgendwo heult eine Sirene, aber weit, weit weg. Hoch über ihnen knattert ein Hubschrauber, Richtung Norden
Weitere Kostenlose Bücher