Diebe
hat ihr und Demi ein bisschen Lesen beigebracht und ihren Namen können sie auch schreiben. Demi schnappt sich manchmal die Zeitung, guckt sich die Bilder an und liest die Überschriften von den Fußballberichten. Baz kann die Straßennamen lesen, so findet sie sich zurecht. »Wir werden echt früh zu Hause sein«, sagt Baz. »Vielleicht sollten wir noch ein bisschen warten.« Keiner von beiden möchte heimgehen. Keiner von beiden hat besonders große Lust, über das zu sprechen, was geschehen ist.
Demi zuckt mit den Schultern. »Wir können ja noch irgendwas anderes machen.«
Ein Streifenwagen fährt langsam vorbei. Wie zuvor die Schulkinder starren die Polizisten aus dem Fenster, mit ausdruckslosen Gesichtern. Wie Haie, denkt Baz, kreisen immerzu um den Rand des Barrio, in der Hoffnung, jemanden schnappen zu können, jemanden wie sie oder Demi vielleicht. Sie kauen ihr Essen und starren geradewegs zurück, lassen die Absätze ihrer Schuhe gegen den Brunnenrand baumeln. Die Polizei fährt nie ins Barrio hinein – die Straßen sind zu eng, und selbst wenn sie könnten, würden die schicken Streifenwagen das nicht lange überstehen.
Der Streifenwagen hält vor einem Lokal auf der anderen Seite des Platzes, das ist die Slow Bar. Sie gehört Señor Moro. Einer der Polizisten steigt aus. Wahrscheinlich will er sich nur ein Bier holen, aber Baz lässt ihn trotzdem nicht aus den Augen. Sie trägt mehr Geld bei sich, als es für ein Kind in diesem Teil der Stadt üblich und ratsam ist. »Vielleicht sollten wir hier weg, Demi.«
»Alles klar.« Er wischt sich etwas Bohnensoße vom Kinn. Keiner von beiden möchte Fay jetzt schon vor die Augen treten. »Da gibt’s was, was ich dir mal zeigen will. Vielleicht was, worüber Fay sich freut.«
Schlendernd verlassen sie den Platz, nicht direkt ins Barrio hinein, sondern etwas nach rechts versetzt, in Richtung der alten Hafenanlagen. Es herrscht dort kaum noch Betrieb, kaum ein Mensch verirrt sich dorthin. Die meisten Lagerhäuser sind mit Brettern vernagelt oder verfallen. Sie kommen an etlichen brachliegenden, mit dornigem Gebüsch und verbranntem Gras überwachsenen Grundstücken vorbei, erfüllt mit dem lautstarken Zirpen der Zikaden.
»Da wird irgendwer das große Geld machen, wenn er hier irgendwelche neuen Sachen hinbaut.«
Demi redet gern darüber, wie man an das große Geld rankommt.
»Und wer wird das sein? Du?«
»Ich, genau. Reich und fett werd ich sein.«
Einige Lastwagen rumpeln vorbei und halten vor einem der wenigen Lagerhäuser, die noch in Betrieb sind. »Hier isses«, sagt er. Die Lastwagen sind rückwärts an ein großes Tor herangefahren, aus dem sich eine Metallrampe schiebt, die direkt auf die Ladefläche eines der Lastwagen geführt wird. Es gibt einen lauten Knall, dann zischt es, Stimmen rufen und im Hintergrund heult ein Motor auf. Als sie etwas näher kommen, kann Baz erkennen, dass es große Eisblöcke sind, die über die Rampe rutschen. Weiß, denkt sie, wie Himmelsbrocken. »Das verkaufen sie auf’m Markt. Für Fisch und Fleisch braucht man Eis.«
»He, das weiß ich auch. Was soll daran so interessant sein?«
Und dann fällt ihr ein, was Fay gesagt hat, als Demi ihr den Ring gegeben hat, nämlich dass er wie ein Fingerhut aus Eis sei, und sie begreift, was ihm durch den Kopf gegangen ist: Der Junge ist verrückt.
»Was meinste, Baz? Schaffen wir’s mit so einem Block nach Hause, bevor er uns wegschmilzt?«
Sie schüttelt den Kopf. »Wir ham ’n Eisschrank, wir brauchen nicht noch mehr davon.«
Er zieht ein Gesicht. »Darum geht’s nicht. Schnallst du gar nichts? Fay wird sich drüber freuen.«
»Fay wird dir sagen, dass du nicht ganz dicht bist.«
Wie immer hört Demi einfach nicht hin, wenn Baz etwas sagt, was ihm nicht in den Kram passt. »Wolln wir drauf wetten?«
»Mensch, dieser Block ist fast größer als du.« Dann legt sie den Kopf schief, tut so, als würde sie ihn genau unter die Lupe nehmen. »Okay, wetten wir um einen Fünfer.«
Er klatscht ihre Hand ab, dann rennt er hinten um den Laster herum, stellt sich an die Rampe und ruft den Leuten im Innenraum etwas zu. Da kommt ein weiterer Block herangerauscht und kracht auf die Ladefläche, sodass er sich schleunigst zur Seite beugen muss, um nichts abzukriegen. Dann schiebt sich eine Hand aus der Tür, er legt einen Schein hinein, und im nächsten Moment rutscht ein kleinerer Block herunter.
»Fass mal mit an.«
Sie verzieht das Gesicht, lässt sich aber den Block
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