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Diebe

Diebe

Titel: Diebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Gatti
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wuselnde Menschenmenge, wobei sie darauf achtet, ihm nicht auf die Hacken zu treten, sondern ein bisschen Abstand zu lassen. Doch behält sie seinen auf und ab hüpfenden Kopf immer im Blick, damit sie gleich zur Stelle ist, wenn er zuschlägt.
    Jetzt dreht er nach rechts ab, hat plötzlich ein lohnendes Ziel ausgemacht. Baz erspäht eine untersetzte Frau, die sich an ihrer Tasche zu schaffen macht. Das ist sie. Doch plötzlich schert Demi wieder aus, dreht sich zu ihr um, verzieht das Gesicht: »Zurück!«, bedeutet das. Sie macht auf dem Absatz kehrt und wird fast umgerissen von einer Familie, die sich, alle Mann eng auf einem Haufen, durch die Menge drängt und dabei lautstark am Diskutieren ist. Dann schließt sie zu Demi auf, der neben einer der Sperren auf sie wartet.
    »Haste sie gesehn?«, fragt er.
    »Wen?«
    »Raoul und Giacomo. Was ham die hier zu suchen? Fay weiß, das ist heute unser Gelände. Ich sag dir, der Arsch hat mir glatt dazwischengefunkt. Wenn er das noch mal macht, kriegt er so’n Tritt von mir, dass ihm sein feistes Grinsen aus’m Gesicht fällt.«
    »Raoul würde nicht herkommen, wenn er nicht geschickt worden wär.«
    »Ja, und wer hat ihn geschickt?«, faucht er. »Ich war so dicht dran«, er schnippt mit den Fingern, »und dann – Zack! – läuft er mir genau vor die Füße und geht an das Portmonee ran ...«
    »Und, hat er’s gekriegt?«
    »Klar. ’n Blinder hätt sich das Teil greifen können.«
    Dann, während Demi noch wütend am Gestikulieren ist, ertönen schrille Pfiffe und zornige Rufe. Die Leute auf dem Querbahnsteig stieben auseinander und geben einen schockierenden Anblick frei, der Baz trifft, als würde ihr jemand mit einem Knüppel gegen die Brust schlagen.
    Raoul ist auf den Knien, den Kopf vorgebeugt. Ein Polizist in Uniform steht hinter ihm, ein griffiger schwarzer Totschläger schwingt locker in seiner rechten Hand. Zwei andere Polizisten stehen seitlich daneben, sprechen mit der untersetzten Frau, die ihre Tasche fest an ihre Brust klammert, als befürchte sie, dass auch die Polizei noch versuchen könnte, sie ihr wegzunehmen.
    Baz tritt einen Schritt zurück und schaut, ob sie Giacomo in der Menge ausmachen kann. Er müsste sich irgendwo am Rand aufhalten, damit er Fay genau berichten kann, was mit Raoul passiert ist, aber es ist nichts von ihm zu sehen. Instinktiv rückt sie näher heran. Vielleicht, überlegt sie, kann sie herausfinden, wo sie ihn hinbringen werden. Sie bemerkt, dass Demi sich dicht an ihrer Schulter bewegt. Er ist nicht mehr wütend. Was auch immer jetzt mit dem armen Raoul geschieht, es wird hundertmal schlimmer sein als alles, was Demi ihm an den Hals gewünscht haben mag.
    Die wenigen Reisenden, die stehen geblieben sind, um die Verhaftung zu beobachten, haben das Interesse verloren und gehen weiter. Ein Taschendieb mal wieder, weiter nichts. Eins von vielen Straßenkindern. Keiner hat Mitleid mit dem kleinen, pummeligen Jungen, nicht einmal, als der Polizist, der hinter ihm steht, plötzlich seinen Totschläger fest packt und dem Jungen ein-, zwei-, dreimal heftig auf den gebeugten Rücken schlägt. Baz zuckt zusammen. Armer Raoul! Ein die Szene beobachtender Mann grummelt: »Dieses Ungeziefer. Sollte man alles ausrotten ...«
    »Wie können Sie so was sagen?!« Sie kommt nicht dagegen an; eine wilde Wut ergreift sie, bestimmt genauso heftig wie die Anfälle, von denen Fay manchmal gepackt wird. »Vielleicht hat er ’n schlechten Vater, einen wie Sie!« Die Worte platzen als lautes, zorniges Gestammel aus ihr heraus. Der Mann macht große Augen, die Polizisten drehen sich um. Demi packt sie am Arm. Nur Raoul reagiert nicht.
    »Tschuldigung«, sagt Demi, indem er Baz zurückzieht. »Meine Schwester is ’n bisschen zimperlich, wissense. Kann’s nicht aushalten, wenn jemand was abkriegt. He, he, nun komm schon.«
    Sie denkt nicht darüber nach, was sie tun könnte; sie kann gar nicht denken. Sie ist so wütend und verängstigt, dass sie einfach nur den Kopf in den Nacken legen und laut schreien möchte. Als würde ein Sturm in ihrem Innern wüten. So ist sie sonst nicht. Niemals. Immer total kontrolliert, achtsam, nachdenklich. Jetzt allerdings nicht, und nur dadurch, dass Demi sie fest am Arm gepackt hält und sie kräftig durchschüttelt, kommt sie wieder zu sich.
    »Typisch Mädchen, eh?«, sagt der Mann.
    »Ja, Señor, natürlich. Ist halt ’n Mädchen. Muss man sich nix bei denken.«
    Der Mann nickt. Die Polizisten wenden sich wieder

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