Diebe
einen Stuhl an den Tisch und setzt sich vor die Schüssel; vom Eis ist nur noch eine Restschicht übrig, nicht dicker als ein Fingernagel. Er stochert darin herum, während Fay etwas zu trinken für ihn sucht und mit einer gekühlten Cola zurückkommt. Er zieht den Verschluss ab, trinkt aber nicht.
»Also, was hast du zu sagen, Raoul? Und denk dran, ich will nur die Wahrheit hören. Was hattest du am Norte zu suchen? Das ist das eine. Zweitens, wo ist Giacomo? War er nicht bei dir? Oder haben sie ihn ins Schloss gesteckt – ist es das?«
Raoul macht einen elenden Eindruck. Er dreht die Coladose ununterbrochen in seiner Hand herum. Baz hätte nicht übel Lust, sie ihm wegzunehmen. Dann erstattet er mit ausdrucksloser Stimme Bericht. Er weiß, dass sie nicht zum Norte gehen sollten, aber er wollte Demi übertreffen, wenigstens ein einziges Mal, wollte mehr zurückbringen als er, und weil man doch weiß, dass in Bahnhöfen immer viel zu holen ist, dachten er und Giacomo, da könnten sie heute mal hingehen. Es war überhaupt nicht böse gemeint, und er hat auch aufgepasst, dass er niemandem in die Quere kommt, aber plötzlich war da diese Gelegenheit, die Leute drängten sich und hatten’s eilig. Es sah so leicht aus. Und es war leicht. Es war perfekt, bloß, dann ist er gestolpert, und Giacomo war nicht hinter ihm, um ihm die Tasche abzunehmen und damit wegzulaufen. Plötzlich war die Polizei da und Fragen und ...
Fay unterbricht ihn: »Ihr habt noch nie auf dem Bahnhof gearbeitet. Hast du mich schon mal erklären hörn, wie und worauf man da wartet, wie man dies macht oder das macht?«
»Nein«, gesteht er, »aber ich bin da gewesen, Fay. Hab zugeguckt, hab versucht zu lernen.«
»Und wie bist du dann entkommen, Raoul? Du warst noch nie besonders schnell auf den Beinen, soweit ich gesehn hab.«
»Ich ...« Er zögert kurz und spult dann eine, wie Baz sofort merkt, vorbereitete Erzählung ab, nach der die Polizisten bei einer Schlägerei eingreifen mussten und es ihm gelang, sich fortzustehlen und unter einen Gepäckwagen voller Postsäcke zu kriechen, wo er sich versteckte, bis er eine Gelegenheit sah, zum Ausgang zu sprinten. Dann hat er die Straßenbahn genommen. Ihm ist niemand gefolgt. Er hebt den Kopf. Sein Blick trifft Baz und sie wendet sich ab. Falls das die Wahrheit ist, dann haben weder sie noch Demi irgendwas davon mitbekommen.
Baz schaut zu Fay hinüber. Sie sieht Raoul gar nicht an, sondern beschäftigt sich mit ihrem Telefon und schickt dann eine SMS ab. »Aha«, sagt sie. »Und das ist alles?« Baz kann erkennen, dass sie eine Entscheidung getroffen hat, aber nicht, was für eine. Wütend ist sie allerdings nicht mehr.
»Ja«, sagt Raoul, »ich schwör’s bei Gott.«
Fay klappt ihr Telefon zu. »Miguel hat nichts gesehn«, sagt sie. »Ist dir also niemand gefolgt, Raoul. Das ist gut. Miguel ist grad mit Giacomo auf dem Weg zurück.« Sie schreibt eine weitere SMS.
Raouls Schultern sacken etwas herunter, er entspannt sich. Jetzt endlich nimmt er einen großen Schluck von der Cola, muss anschließend einen Rülpser unterdrücken. »Giacco, das ist gut.«
»Trink das jetzt aus, Raoul, und dann machst du einen Botengang für mich.« Sie steht auf und geht in ihr Zimmer.
Hastig, während Fay nicht mithört, flüstert Baz: »Was ist passiert, Raoul?«
»Genau«, sagt Demi, der inzwischen von seinem Erkundungsgang zurückgekehrt ist. »Was du Fay eben erzählt hast, als ich weg war, ist ja wohl nicht so gut angekommen.«
Raoul wirkt verlegen, beschämt, so als wüsste er, dass er etwas Dummes gemacht hat. »Ich weiß, aber sie bringt mich um, egal, was ich ihr erzähl. Sie glaubt es ja doch nicht. Hört zu – so ein Typ, der echt Geld in der Tasche hat, der ist zu den Polizisten gegangen und hat sie bestochen.« Er zuckt mit den Schultern. »Ich weiß, wer soll das glauben? Aber es ist wahr, Baz. Die Greifer hatten nix gegen die Dollarscheine, das kann ich dir sagen. Und alles, was der Typ wissen wollte, war, ob ich im Barrio für ’ne Frau, die Fay heißt, arbeite.«
»Hast du Ja gesagt?«
»Bin ich verrückt? Natürlich hab ich Nein gesagt, aber wisst ihr was? Der hat nur gelacht und –«
»Hier«, sagt Fay, als sie wieder ins Zimmer zurückkommt. »Das ist ein Paket, das an einen bestimmten Mann gehen muss. Du findest ihn in der Slow Bar. Du kennst den Laden. Verlier’s nicht, Raoul. Es ist wirklich wichtig.«
»Alles klar, Fay.«
»Ich vertrau dir, Raoul.«
»Alles klar, Fay.«
Weitere Kostenlose Bücher