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Diebe

Diebe

Titel: Diebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Gatti
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total.«
    »Nein. Hast schon mal mit Lucien drüber geredet, wie er da rausgekommen ist?«
    »Nee.«
    »Das isses, was wir machen«, sagt sie entschieden. »Wir lassen uns von Lucien erzähln, wie schlimm der Berg ist. Er soll uns sagen, wie wir reinkommen und wie wir wieder rauskommen. Bisher kennen wir nur die Geschichten, die Fay den Kleinen erzählt, dass sie davon schlecht träumen und alles tun, was sie ihnen sagt. Dieselben Geschichten, die sie auch uns erzählt hat. Jetzt gucken wir mal, wie’s wirklich ist.«
    Er erhebt sich. »Und wenn wir das machen, dann hörst du auf, rumzumosern und die ganze Zeit dein mürrisches Gesicht zu ziehn.«
    »Hab nur das eine Gesicht, Demi.«
    Er schüttelt den Kopf und grinst. »Du bist so ziemlich das Seltsamste, was im Barrio rumläuft. Falls hier je ein Museum aufgemacht wird, stelln sie dich sofort da rein.« Er klopft sich die Hände an seiner Jeans ab. »Also, gehn wir Lucien suchen.«
    Lucien ist da, wo er immer ist, beim Brunnen, wo er Mama Bali dabei hilft, Waschwasser zu schöpfen. »Seid wieder einer weniger, hab ich gesehn, Baz«, sagt er mit seiner sanften, halb flüsternden Stimme.
    Mama Bali streckt ihren Rücken und wischt sich den Schweiß aus dem Gesicht. »Kümmer dich um deinen Kram, Lucien, dann rückt dir auch keiner auf die Pelle«, sagt sie, sieht aber Demi und Baz neugierig an. »Habt ihr Probleme?«
    »Jeder hat so seine Probleme, Mama. Wir ham nur ein paar Fragen an Lucien.« Demi wirft erst Baz einen Blick zu und sieht sich dann über die Schulter um, als hätte er das Gefühl, dass Fay ihn gerade in diesem Moment beobachtet.
    »Raoul ist auf’n Berg gebracht worden«, sagt Baz geradeheraus. »Jeder weiß, dass es ein schlimmer Ort ist, also sollst du uns erzähln, wie wir ihn da wegkriegen. Du kannst uns sagen, was man tun muss.«
    Mama bläst die Backen auf, als sei sie ein riesiger Ballonaffe. »Der Berg?«, sagt sie. »Zeig deine Narben, Lucien.«
    Zögernd zieht Lucien das Bein seiner Trainingshose hoch – Wade und Schienbein sind mit alten Schnitt- und Risswunden übersät. »Hab Glück gehabt«, sagt er. »Bin so krank geworden, dass meine Mutter mich an die Straße gelegt hat. Sie dachte, dass einer von den Fahrern mich in die Stadt bringen würde, ins Krankenhaus. Stattdessen bin ich hierhergekommen. Die Krankheit ging irgendwann wieder weg.« Er wischt sich mit dem Handrücken über die Stirn und lächelt Baz zu. »Jetzt schleppt Lucien Eimer, weil, das ist viel, viel besser, als in der Erde zu wühln wie ’n Huhn. Oder ’ne Ratte.«
    »Man kann also rein und wieder raus?«
    »Damals. Damals vor zehn Jahren. Jetzt wird der Berg als Geschäft geführt. Señor Moro. Zäune und Stacheldraht rundherum. Wächter auch. Wie ’n Gefängnis ist das jetzt: kommt keiner mehr weg. Nur arbeiten und sterben. Weiß nicht, wie du reinkommst, Baz – Draht zerschneiden vielleicht, aber ich würd dir raten, lieber so weit wie möglich davon wegzubleiben.«
    »Er hat ’ne ehrliche Arbeit.« Mama hat beide Hände auf die breiten Hüften gestützt, das Gesicht glänzt in der Hitze. »Das ist was, wo ihr beide nicht so viel von versteht. Hier, ihr könnt mal Lucien und mir helfen, diese Eimer zu mir zu tragen.«
    Demi stopft die Hände in die Hosentaschen und wirft sich in die Brust. »Meine Hände sind zu kostbar für deine alten Eimer.«
    Sie lächelt. »An dir ist nix Kostbares dran, Demi.« Worauf sie einen der Eimer aufnimmt und sich mit Lucien zusammen auf den Weg macht.
    »Puuh! Dreckiges Wasser schleppen! Als Nächstes will sie, dass ich ihre Vordertreppe putze!« Aber als Baz schweigend einen der verbliebenen Eimer aufhebt, schnappt er sich den anderen und die beiden folgen Mama und Lucien zurück zu ihrer Kneipe.
    Sie bedankt sich und gibt ihnen eiskalten Saft in hohen, kalten Gläsern, während sie Lucien einen Teller mit kalten Bohnen und Schweinefleisch hinstellt. Er isst zurückhaltend und bedächtig, nicht wie die Jungen in der Bude, die ihr Essen wie hungrige Wölfe hinunterschlingen, aber er ist schließlich auch älter, und er hat eine sanfte Art, die man im Barrio sonst nicht antrifft. Jedenfalls ist er furchtbar dünn; vermutlich würde er sich einfach in Nichts auflösen, wenn Mama Bali ihm nicht jeden Tag eine Mahlzeit gäbe.
    »Danke, dass du uns vom Berg erzählt hast, Lucien«, sagt Baz, und er lächelt ihr zu, wobei er die Hand vor den Mund hält, um seine schiefen und kaputten Zähne zu verbergen. Dann senkt er den Kopf über

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