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Diebe

Diebe

Titel: Diebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Gatti
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Situationen, da ist er so von sich selbst geblendet, dass er keinen klaren Gedanken mehr fassen kann. Dieser Mann ist nicht das, was er zu sein vorgibt. Dessen ist sie sich so sicher, wie man nur sein kann. All diese Fragen. Sie schließt die Augen und hofft inständig, dass Demi sich überlegt, was er sagt.
    »Könnt schon sein«, sagt der Fahrer. »Ich seh da kein Problem. Wenn ihr an der Straße steht, nehm ich euch mit – klarer Fall.« Er pult sich einen Tabakkrümel von der Lippe und wischt ihn dann an seinem Hemd ab. »Und dieser Freund von euch, hat der einen Namen? Vielleicht hab ich was gehört, was ich euch weitersagen kann. Ist er vielleicht aus’m Barrio, euer Freund? Hab ’ne Menge Freunde im Barrio. Ist ’n anständiges Viertel, egal, was manche Leute sagen.«
    »Ja«, sagt Demi, »er ist aus’m Barrio, aber hat niemandem was getan, dieser Junge.«
    »Wie heißt er?«
    »Raoul«, sagt Demi.
    Baz macht die Augen auf. Der dicke Raoul mit seinem Lächeln, das so breit war, dass man es in eine Pfanne werfen und braten konnte wie eine Tortilla. Wie konnte man Raoul nicht mögen? Wie konnte Fay ihn gehen lassen? Fay trägt eine Portion Gift im Herzen, daher kommt es. Und jetzt hat Demi diesem Fahrer mit den langen gelben Zähnen Raouls Namen verraten. Zu viel, er verrät einfach zu viel. Sie blickt aus dem Fenster und versucht positiv zu denken. Vielleicht haben die Familien, die draußen auf dem Berg wohnen, Raoul aufgenommen. Vielleicht müssen sie gar keine Befreiungsaktion starten. Vielleicht. Vielleicht. Manchmal scheint das Leben aus einer ganzen Kette von »Vielleichts« zu bestehen, die sich aber anscheinend nie in handfeste Wirklichkeit verwandeln wollen. Lucien hatte eine Familie, aber die hat ihn einfach zum Sterben an den Straßenrand gelegt – wie groß ist da also die Chance, dass Raoul ein bisschen Freundlichkeit erlebt an einem Ort, wo solche Menschen hausen?
    Der Fahrer stößt eine dünne Rauchfahne aus. »Nein, von einem Raoul hab ich nie erzähln hörn, aber das will nichts heißen. Ich kipp einfach nur immer meine Ladung ab und fahr dann zurück in die Stadt.« Als er bemerkt, dass Baz sich vorbeugt und ihn ansieht, sagt er: »Bist’n merkwürdiges Ding, du. Was bist’n eigentlich, Junge oder Mädchen?«
    Demi muss lachen. Kann nicht anders. »Das halbe Barrio fragt das immer«, sagt er und lacht noch mehr, bis Baz ihm einen Stoß gibt.
    »Mädchen«, sagt sie. »Und ich kann auf mich selbst aufpassen.«
    Demi schüttelt seine rechte Hand in der Luft, dass die Finger hin- und herwedeln – so als wäre sie eine echte Gefahr. »Hat ’n Tritt wie ’n Maultier.«
    »Du hast noch nie ’n Maultier gesehn!«, sagt sie, verärgert darüber, dass er mit diesem Mann herumscherzt.
    »Kannst du bestimmt«, sagt der Mann nickend, dann wiederholt er: »Kannst du bestimmt.« Sie hat allerdings das Gefühl, dass er von sich selbst spricht, nicht von ihr. Er lacht und lächelt auch nicht, so wie Demi. »Wie heißt’n ihr eigentlich?«
    »Das hier ist Baz, ich bin Demi.«
    »Also gut, Baz, ich sag euch mal, was ich tun werde. Ich mag euch Kids. Macht ’n anständigen Eindruck. Ihr sucht nach eurem Freund. Das gefällt mir. Passt auf, ich fahr euch zum Betriebshof – da hab ich Freunde. Mit denen red ich mal, stell ’n paar Fragen, und vielleicht, vielleicht gegen ’ne kleine Anerkennung, finden sie euern Freund, diesen Raoul, und vielleicht lassen sie ihn ja sogar gleich mit euch mitgehn. Was sagt ihr dazu?« Und er starrt sie dabei, die buschigen Augenbrauen bis über den Rand seiner dunklen Brille hochgezogen, so lange und eindringlich an, bis Baz richtig Angst kriegt, dass sie gleich von der Straße abkommen.
    »Damit würdense uns ’n Riesengefallen tun«, sagt Demi.
    Der Fahrer grunzt. »Nicht der Rede wert. Ist wichtig, dass man sich gegenseitig hilft.«
    Für Baz klingen seine Worte schmierig. Sie wundert sich, dass Demi das nicht ebenso empfindet. Sie glaubt nicht, dass der Mann irgendetwas von dem tun wird, was er angeboten hat, aber es gibt nichts, was sie dagegen sagen kann. Sie kann hier nur sitzen, seinem Gerede zuhören und hoffen, dass Demi nichts sagt, was sie erst richtig in Schwierigkeiten bringt.
    »Ist das hier die Sorte Anerkennung, an die Sie gedacht ham?« Demi legt einen Zehner aufs Armaturenbrett, und der Fahrer lächelt.
    »Wusste doch sofort, als ich euch beide gesehn hab, dass ihr Klasse habt.« Er nimmt den Schein und steckt ihn in seine Hemdtasche. Drückt

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