Diebin der Nacht
(in den Augen des Richters zu unglaublich, denn das Ganze wurde kurzerhand abgewiesen) eines »Meisterdiebes«, der Bewohner des Armenviertels anheuerte, sie als Dienerin sein Haus nahm und gut von den Erträgen ihrer Beute lebte.
Nachdem er den Brief gelesen hatte, schaute Rafe zu Sam auf, während ein Lächeln über seine Lippen kam. Er gab ihn Sam zurück, der ihn schnell durchlas.
»Also führt der alte Schurke wieder die gleichen Tricks im Schilde«, bemerkte Rafe. »Nun, das ist ganz schön vernichtend. Vor allem, was Paul Rillieux angeht. Das dürfte in der Tat für uns ausreichen, ihm das Handwerk legen zu können. Er wird den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen.«
»Ich nehme an, das könnte auch für Mystere ziemlich hart werden«, warf Sam leise ein.
Rafe nickte. »Ja, verdammt. Vielleicht härter, als sie es verdient, aus diesem Grunde werde ich mich nicht an die Behörden wenden. Ich erkenne nun, dass sie mir letzte Nacht die Wahrheit gesagt hat. Sie behauptete, dass Rillieux sie aus einem Waisenhaus rekrutiert und ihr das Stehlen beigebracht hat, genauso wie man einem einjährigen Pferd den Passgang beibringt.«
»Das stimmt mit seinem Modus Operandi in New Orleans überein,« bemerkte Sam.
»Ja, und das mildert auf gewisse Weise die Schuld des Mädchens. Aber kein Mitleid der Welt könnte mich dazu bringen, die charmante kleine Diebin heiraten zu wollen.«
»Heiraten?«, wiederholte Sam, während ein selten überraschter Blick seine Augen weitete.
»Ja, genauso hatte ich auch reagiert.«
Rafe fasste kurz die Situation im Salon zusammen, die in Mrs. Astors unbarmherzigem Ultimatum ihren Höhepunkt gefunden hatte.
»Nein«, stimmte Sam ihm zu, nachdem er geendet hatte. »Mitleid ist mit Sicherheit die falsche Motivation für eine Ehe. Vorausgesetzt natürlich, dass das alles ist, was Sie für sie empfinden.«
Sam mischte sich nur selten in die Privatangelegenheiten seines Arbeitgebers ein; so selten, dass Rafe es ihm nun nicht übel nahm. Trotzdem verengten sich seine Augen, und er warf Sam einen scharfen Blick zu.
»Nun, natürlich ist sie eine Schönheit«, räumte Rafe ein. »Vor allem dann, wenn sie nicht ... sagen wir, ihre vollen Reize herunterspielt. Aber Lust ist auch kein besserer Grund für eine Heirat als Mitleid.«
Sam hatte ein seltenes Talent, Schweigen zu seinem großen Vorteil einzusetzen, und das tat er nun auch.
»Sie glauben, dass ich mich in sie verliebt habe, ist es das?«, wollte Rafe wissen.
»Keine Ahnung. Da gibt es jedenfalls neben Lust und Mitleid noch etwas anderes, das Sie dazu veranlasst hat, sich in diesen letzten Wochen mit ihr zu beschäftigen.«
»Das kann ich nicht leugnen«, gab Rafe widerwillig zu. »Aber vergessen Sie nicht - da ist ja auch noch Carolines Drohung gegen die Solvenz von Beiloch Enterprises.«
»Würde sie diese Drohung wahrmachen?«
»Ich weiß es nicht. Wenn Sie mich jedoch fragen, ob sie fähig ist, das bis zum Ende durchzuziehen, ja, absolut. Diese Frau ist knallhart.«
Er verfiel in Schweigen, und der erfreuliche Anblick der fast nackten Mystere kam ihm ins Gedächtnis zurück. Lust mochte vielleicht keine Ehe rechtfertigen, aber andererseits konnte er deren bezwingende Reize auch nicht abstreiten - vor allem in Mysteres Falle. Einen großen Teil der letzten Wochen hatte er damit zugebracht, sich schlaflos in seinem Bett herumzuwälzen, und es war nicht die Androhung des Bankrotts, die ihn in den Bettlaken zum Schwitzen brachte.
Gleich nach dieser Reaktion folgte jedoch noch eine weitere, und zwar ungeheure Verärgerung über seine eigene Schwäche. Warum in Gottes Namen hatte er ihr Geheimnis vor Caroline zurückgehalten? Es würde all seine Pläne durchkreuzen, wenn er sich tatsächlich in diese tückische kleine Diebin verheben würde.
Er konnte es nicht länger leugnen, dass sein frivoles Abenteuer mit Mystere ihn von seinem Hauptziel abgelenkt hatte, nämlich dem, Caroline zu seinem größten Coup zu machen, indem er sie in einen hässlichen Skandal verwickelte. Mystere hat ihn für immer dieses Ziel gekostet. Da gab es natürlich noch eine Menge anderer in Frage kommender Damen der Gesellschaft, Antonia Butler eingeschlossen. Er durfte sich jedoch niemals in die Falle einer Ehe mit irgendeiner betrügerischen kleinen Schönheit begeben, die ihn - nach allem, was er wusste - wegen seines Vermögens vergiften könnte.
»Auf alle Fälle«, fuhr Rafe schließlich fort, »werde ich nicht in der Lage sein, meinen
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