Diebin der Nacht
aus.
»Nicht ganz«, korrigierte Paul ihn. »Aber er ist ohne Frage einer der wohlhabendsten Männer der Nation. Wenn ich bedenke, dass unser Mädchen seine Frau werden wird.«
»Endlich haben wir das große Los gezogen«, brüstete Baylis sich. »Schau sie dir an, Boss - die große Dame. Ist sie nicht wirklich schrecklich vornehm? Wann soll denn die Hochzeit sein, Schätzchen?«
Mystere versuchte zu sprechen, sie hatte jedoch das Gefühl, als würde eine Hand ihr die Kehle zudrücken.
»Das arme Ding ist ganz überwältigt von dem Gedanken«, sagte Paul überschwänglich. »Caroline zufolge steht das Datum noch nicht fest. Aber je eher, desto besser, würde ich sagen.« Er zwinkerte ihr zu, sah dabei aber aus wie der Teufel höchstpersönlich. »Nur damit du Bescheid weißt, ich habe Mrs. Astor versprochen, dich nicht aus den
Augen zu lassen, und ich habe vor, dieses Versprechen auch zu halten. Für eine schutzlose Debütantin hast du zu viele Freiheiten gehabt, und genau das hat dich in diese Geschichte hineingezogen.« Paul lachte. »Wir wollen doch nicht, dass das Huhn sich aus dem Staub macht, noch bevor es das goldene Ei gelegt hat, nicht wahr?«
Noch während sie ihn anstarrte, war Mystere sich bewusst, dass das Ende gekommen war. Wenn es ihr nicht gelingen würde zu fliehen, so würde sie gezwungen sein, Beiloch zu deren Profit zu heiraten. Sie konnte nicht Vorhersagen, wie das alles enden würde.
»Wenn sich einem eine solche Gelegenheit bietet, so ist es am besten, das Eisen zu schmieden, solange es heiß ist«, fuhr Paul fort.
»Oder solange Beiloch es ist«, spielte Baylis mit den Worten und beide Männer lachten ungehobelt.
Noch immer wie betäubt wollte Mystere plötzlich unbedingt der grobschlächtigen Fröhlichkeit der beiden Männer entfliehen. Sie raffte ihr Kleid zusammen und zwang ihre Beine irgendwie dazu, sie beim Aufstehen zu unterstützen.
»Ich ... ich denke, ich werde oben Weiterarbeiten«, gelang es ihr zu sagen.
»Oh-ha!«, zog Baylis sie auf. »Siehst du, wie das geht? Schon ist sie sich zu schade für unsere Gesellschaft.«
»Na, na«, ermahnte Paul ihn. »Du hast sie in Verlegenheit gebracht. Zieh sie nicht so auf; das arme Ding muss sich in diesem Augenblick doch überwältigt fühlen. Mir geht es mit Sicherheit auch so, und dabei werde ich lediglich die Braut zum Altar führen.«
Während Mystere sich der Tür näherte, traten die beiden Männer zur Seite und strahlten sie an. Auf ihrem Weg zur Wendeltreppe war sie schon halb durch die Halle gegangen, als ihre angeregten Stimmen aus dem Salon sie innehalten ließen.
Schnell und leise ging sie denselben Weg zurück und blieb stehen, als sie sich nahe genug an der Tür befand, um verstehen zu können, was da geredet wurde.
»Nun ja«, betonte Baylis, »Beiloch wird mit Sicherheit Vorhaben, sein Vermögen zu behalten.«
»Natürlich wird er das, würdest du das nicht auch? Aber weißt du, ich bin inzwischen der Meinung, dass Mystere in Schwarz ziemlich reizend aussieht.«
»Irgendwann müssen wir alle den Löffel abgeben«, witzelte Baylis, und beide Männer lachten.
Ein eisiger Finger berührte ihr Herz. Sie würde Rafe beschützen müssen. Das soeben Gesagte stählte nur noch ihren Entschluss, Rafes Hand genauso entschieden zurückzuweisen, wie er sich dagegen wehrte, ihre zu nehmen.
Einen Seufzer der Verzweiflung unterdrückend lief sie zur Treppe zurück.
Mystere hatte keine Ahnung, wie lange sie auf ihrem Bett gelegen, in ihre Kissen geweint und immer wieder Brams Namen wiederholt hatte. Selbst jetzt noch stand er in ihren Gedanken an erster Stelle, sie gab jedoch langsam jede Hoffnung auf, ihn jemals wiederzusehen. Niemals konnte sie hoffen ihn zu finden, wenn eine fürchterliche Komplikation nach der anderen sie von der Suche abhielt.
Ihr wurde nun eindringlicher denn je bewusst, wie sie zu einem Kind zweier Extreme herangewachsen war. Das eine Extrem war der unwiderstehliche Drang, das Rätsel lösen zu wollen, das zum Mittelpunkt ihrer Existenz geworden war, und zwar das Rätsel ihrer eigenen Identität - das andere Extrem bestand in den kollektiven Erinnerungen an die frühen Tage, an das hoffnungslose Leben in der Gosse und später dann im Waisenhaus. Sie wusste sehr genau, dass niemandem an ihrer Existenz etwas gelegen war, dass sie innerhalb eines Herzschlages ausgelöscht werden könnte.
Nach und nach jedoch wich ihre persönliche Verzweiflung dem Gedanken an Rafe.
Trotz all seiner entsetzlichen
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