Diebin der Nacht
Ich hätte wissen müssen, dass ein gutes, gehorsames Mädchen wie du die Familie nicht im Stich lassen würde.«
»Du brauchst dich nicht aufzuführen, als wäre unsere Zukunft schon gesichert«, wandte sie ein. »Rafe ist noch immer sein eigener Herr.«
»Nun, ja ... sicher, sicher. Und ich will nicht taktlos erscheinen, Mystere, aber was ist mit ... den Wickeln? Wie hast du ihm diese Sache erklärt?«
Sie errötete erneut und wandte ihren Blick ab. Das war jedoch nur gespielt, um ein wenig Zeit herauszuschlagen. Schnell suchte sie nach einer überzeugenden Lüge.
»Nun bist du aber wirklich taktlos, Paul. Ich habe ihm erzählt... ich sagte, dass ich mich gehemmt fühlen würde wegen ... der Fülle meiner Figur, dass es mich stören würde, wenn andere Notiz davon nähmen. Er muss es mir geglaubt haben, denn er zog mich damit auf.«
»Zog dich damit auf, hat er das? Gut, gut.« Pauls Laune wurde immer besser, als er anfing, die möglichen Auswirkungen des Ganzen zu registrieren. »Habt ihr beide irgendeine, ehm, Vereinbarung getroffen? Wird die Beziehung fortbestehen?«
Hier musste sie vorsichtig sein. Sie traute sich nicht nein zu sagen, für den Fall, dass Mrs. Astor tatsächlich das Aufgebot bestellt hatte. Sollte sie aber andererseits nachgegeben haben, so wollte Mystere nicht, dass Paul seine Hoffnungen zu hoch steckte - sein Zom würde wahrhaft fürchterlich sein, wenn seine Hoffnungen erst zerschlagen worden wären.
Sie entschied sich für taktvolle Zweideutigkeit.
»Die Beziehung wird fortbestehen«, antwortete sie, »ich bin mir zurzeit jedoch noch nicht völ li g im Klaren darüber, auf welcher Basis.«
»Nun, das ist sicherlich besser als gar nichts, was? Sag mir nur noch eins: Wie bestimmt hat er sich in puncto Heirat geäußert?«
Die Ironie dieser Frage entlockte ihr trotz der so schwer auf ihren Gedanken lastenden Probleme beinahe ein Lächeln. »Er war«, sagte sie, erneut der Wahrheit entsprechend, »sehr bestimmt.«
»Hmm«, war alles, was er zur Antwort gab, sein Strahlen sprach jedoch Bände.
Rafe Beiloch war kein religiöser Mensch, und auch wenn seine Hausangestellten sonntags frei hatten, so war dieser Tag doch für ihn und Sam Farrell lediglich ein weiterer Arbeitstag in Garden Cove. Um neun Uhr morgens trafen sich die beiden Männer in Rafes Studierzimmer zu ihrer üblichen wöchentlichen Besprechung.
»Das hier ist gestern mit der späten Post angekommen«, informierte Sam ihn als Erstes. Er reichte seinem Arbeitgeber einen Brief mit dem Poststempel von New Orleans. »Ich hatte Sie gesucht, aber Ruth sagte mir, dass Sie gestern vorhatten, in der Stadt zu bleiben.«
»Ah, endlich. Unser Bericht von Stephen Breaux«, sagte Rafe und benutzte einen massiven, goldenen Brieföffner in der Form eines Eisenbahnschienennagels, um den Umschlag aufzuschlitzen. »Das könnte sich zwar als ein wenig enttäuschend erweisen nach dem ganzen Zirkus, der letzte Nacht hier stattgefunden hat. Ich bin aber trotzdem neugierig.«
Rafes Blick flog schnell über die höfliche Begrüßung Breaux’, verlangsamte sich dann jedoch, als er zum Kern des Berichtes kam.
Wir haben absolut keinen Hinweis darauf finden können, dass Paul Rillieux eine Nichte hatte, die bei ihm lebte, auch nicht auf irgendeine andere 'Verwandte. Auch ist der Name Mystere Rillieux in keinem Register der Stadt verzeichnet. Was Paul Rillieux betrifft, so war dieser ziemlich aktiv in dem, was hier als der Lafayette-Kreis bekannt ist, das heißt in der wohlhabenden Klasse, die in den oberen Stadtteilen am Ende der Straßenbahnlinie aus dem Vieux Carré, dem alten französischen Viertel und Herzen New Orleans’ lebt.
Persönlich habe ich ihn nie kennen gelernt, alle Berichte jedoch weisen daraufhin, dass der Mann bei einigen unserer führenden Bürger ziemlich beliebt gewesen und dass er keinem Beruf nachgegangen ist. Angeblich lebte er recht komfortabel -wenn auch nicht aufwendig-von Einkünflen aus Grundbesitz in Frankreich. Nach seiner Abreise (zurück nach Frankreich, wie er behauptete) war jedoch eine interessante Entwicklung eingetreten.
Ein junger Mann, der einst ab Rillieux’ Kammerdiener gearbeitet hatte, lourde dabei erwischt, ah er einem Besucher unserer Stadt eine wertvolle, goldene Uhr stahl. Als er für dm Vergehen dem Gemeindegericht vorgeführt wurde, behauptete er, von seinem ehemaligen Arbeitgeber Rillieux in die Kunst des Diebstahls eingeführt worden zu sein. Er erzählte die unglaubliche Geschichte
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