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Diebin der Zeit

Diebin der Zeit

Titel: Diebin der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vampira VA
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Dorf!
    Er löste seinen Blick von den abgemagerten, verhärmten Gestalten und ließ ihn zurück zu dem Pfaffen schweifen, der als einziger noch einigermaßen vital wirkte; jedenfalls nicht so ausgebrannt wie seine Zuhörer.
    Und zum erstenmal hörte auch Landru bewußt, was den Kirchgängern hier und heute gepredigt wurde.
    Es war überhaupt keine Predigt, es war ... eine Beichte!
    »... gestehe ich, große Schuld auf mich geladen zu haben«, sagte der Mann auf der Kanzel, dessen Gesicht in welker Blässe schwelgte. »Ich bin ein großer Sünder, denn ich habe Unzucht getrieben mit dem Weibsvolk, obwohl Amt und Würden dies vor Gott dem Allmächtigen auf Strengste verbieten. Dafür wurde ich aber auch von dem einzigen Gott, unserem Herrn, gestraft. In mir nagt und frißt seit langem die gemeine, unersättliche Syphilis! Sie ist kaum weniger schmerzvoll, nur schleichender als die Pest, die ich von euch fernzuhalten schwor!«
    Der Pfaffe hielt kurz inne. Die in seinen Augen wuchernde Qual schien nicht allein mit dem Martyrium erklärbar zu sein, über das er gerade gesprochen hatte, und es paßte zur ganzen Groteske, in die sich Landru versetzt fühlte, daß kein Gemeindemitglied mit wie auch immer gearteter Betroffenheit auf das Geständnis des Priesters reagierte.
    Alles blieb ruhig, alles saß still. Als wären die Menschen, die zuhörten, selbst Gespenster an diesem gespenstisch verkommenen Ort, der so gar nicht die Ausstrahlung einer Kirche hatte, in der christlicher Glaube gelebt wurde. Hier schien alles bereits tot oder zumindest im Sterben begriffen. Erstarrt in Agonie ...
    Diese lähmende Kraft (eigentlich die Abwesenheit jeglicher Kraft) griff mehr und mehr auch auf Landru über. Er spürte, wie ihm die Kontrolle über Racoons Körper zu entgleiten drohte, wie er ihn nicht mehr ganz so selbstverständlich manövrierte wie noch wenige Sekunden zuvor.
    »Wer von euch da ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein ge-gen mich«, fuhr der Pfaffe auf der Empore fort und fuchtelte mitleidheischend mit seinen Armen. »Ich weiß, ich habe euch belogen, betrogen und falsches Zeugnis über meine Charakterfestigkeit geredet - ich habe mich an euren Frauen vergangen, an mehr als einer, habe sie auf dem Felde besucht und wenn der Mann zur Arbeit war, oder in meiner Kammer empfangen . und stets habe ich mir ihr Entgegenkommen mit Drohungen erschlichen. Ich drohte ihnen, sie würden in der Verdammnis enden, wenn sie sich den Bedürfnissen eines Dieners des Herrn verweigerten, und ich wußte sie stets wortgewandt zu überzeugen, daß sie nichts wirklich Verbotenes täten. Meine Zunge wurde zur eitlen, schlauen Schlange, die in Grund und Boden redete, was sich ihr entgegenstellte . Ich weiß, ich bin ein großer Sünder, ein schlimmer Versucher, dem die Ehre und Gesundheit anderer um der Befriedigung eigener niederer Triebe willen nicht viel zählten, und so mag ich viele von euch über das Weibsvolk angesteckt haben . Es tut mir leid. Es ist unverzeihlich. Ich werde dafür büßen - und auch euch wird die Demut, die im Leid liegt, nicht erspart bleiben. Keinem von euch, denn wer da ohne Schuld ist, der .«
    Landru konnte die Litanei nicht länger mit anhören.
    »Schweig!« schleuderte er dem Mann droben auf der Kanzel entgegen. »Still, du Narr aller Narren! Sag mir, wo sie ist - sofort!«
    Die Hände des Pfaffen hatten sich um das hüfthohe Steingeländer der Empore geklammert. Dennoch wankte sein Oberkörper wie Schilfröhricht in einer stürmischen Brise.
    »Sie?« Er starrte auf Landru herab. Dabei sah es aus, als tropfe aus einem seiner Nasenlöcher ein schaumiger Schleim.
    »Sie?« wiederholte er. Dabei löste er eine der Hände, ballte sie zu Fäusten, spreizte sie dann, als müßte er einen Krampf lösen, und fuhr sich mit den Fingernägeln so heftig durchs Gesicht, daß blutige Striemen zurückblieben. Sein Stöhnen drang bis in den letzten Winkel der Kirche. Aber so wie das sonst allgegenwärtige Schweigen waren auch diese Laute seiner Pein auf ihre Weise unwirklich.
    Landru beobachtete nicht nur das Treiben des Priesters auf der Kanzel, er bemühte sich, die Augen überall zu haben.
    Dies hier war eine Farce! Ein vielleicht nicht nur - aber auch - für ihn initiiertes Schauspiel!
    »Zeig dich!« rief er noch stimmgewaltiger als zuvor. Er brachte das Eingangsportal in seinen Rücken, um aus dieser Richtung nicht überrascht werden zu können. »Ich weiß, daß du da bist, Lydia! Zeig dich, damit ich dich lehren

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