Diebin der Zeit
sich.
Als er mit den Fingern in den Spalt tauchte, der einem weniger argwöhnischen Besucher kaum aufgefallen wäre, setzte das leise Jammern wieder ein.
Eucharius hob den Deckel der Falltür. Wie die umgebende Nacht wich auch die gähnende Dunkelheit hinter der Öffnung vor seinen Augen zurück.
Eine primitive Leiter führte steil nach unten in ein elendes, winziges Gefängnis von kaum fünf Ellen Durchmesser.
Die Sprossen ächzten unter Eucharius' Gewicht, aber davon ließ er sich nicht beirren. Wenig später langte er am Ende der Leiter an, wo sein Opfer mit aufgerissenen Augen in die Schwärze starrte.
Eucharius war so nah, daß er nur die Hände auszustrecken brauchte, aber die Augen der Gefangenen berührten den Grund seiner Seele, die genauso gefangen war wie dieses in Ketten gelegte, von der Außenwelt ferngehaltene Mädchen, das kein Kind mehr war.
In Eucharius' Mund zogen sich die Säfte erwartungsvoll zusammen.
Obwohl es nichts sehen konnte, schien das Mädchen mit dem schwammig runden Antlitz genau zu wissen, daß ein Fremder erschienen war. Und dieses Wissen verwandelte es in ein tobsüchtiges Ding, das sich ohne Aussicht auf ein Entrinnen in seinen Fesseln aufbäumte. Das Wimmern schwoll furienhaft an; ein Schreien ließ der Knebel nicht zu.
Eucharius versuchte sich von den ihm entgegenquellenden Augen zu lösen. Endlich gelang es.
Er hob seine Hände und vergrub sie in der verfilzten Haarwolle der bleichhäutigen Gestalt, die weiterhin versuchte, sich ihm zu entwinden. Vergeblich.
Eucharius zerfetzte das Tuch, das durch ihren Mund schnitt und den Knebel darin festhielt, nur aus einem Grund: Es war ihm hinderlich.
Ihr schrill hervorbrechender Schrei störte ihn nicht. Längst folgte er einem Trieb, der mächtiger war als alles, was die Gefangene dem entgegenzusetzen hatte. Und kaum daß ihr Blut Eucharius' dürstende Kehle netzte, wurde sein schwermütiger Geist federleicht. Der zufriedengestellte Keim des Meisters stürzte Eucharius in schwelgerische Träume.
Ewig leben. Warmen Nektar schlürfen .
Eucharius versank ganz und gar im Rausch der Gier, und es hätte ihm wenig ausgemacht, nie wieder daraus zu erwachen.
Doch dann .
»Bist du Lydia?«
Landru versuchte das Gefühl zu verdrängen, ein Gestrandeter in einer längst vom Zeitfluß überholten Epoche zu sein. Solche Gedanken verstellten den Blick auf das Wesentliche, und das war gefährlich, denn die notdürftig geschlossenen Wunden seines hiesigen Körpers schienen ein Indiz zu sein, daß er sehr wohl in dieser Vergangenheit sterben konnte .
»Ich weiß nicht, wer ich bin«, sagte die verschleierte Gestalt. »Aber ich höre auf diesen Namen, ja.«
»Dann nenn mir den Grund deiner Feindseligkeit!«
Landru hatte die Distanz zwischen sich und seiner Gegnerin aus dem Gespür heraus gewählt, das er sich im Laufe seines Lebens angeeignet hatte. Knapp fünf Meter trennten ihn von der französisch sprechenden Frau.
»Für mich genügt als Grund«, sagte die weder sonderlich kostbar noch anders auffällig gekleidete Frau, »daß du einer von ihnen bist -womit sich mir die Frage stellt: du oder ich?«
Landru machte nicht den Fehler, seine Wachsamkeit zurückzunehmen. »Nur weil du dich durch mich bedroht fühlst, hast du das alles inszeniert ...?«
Sie lachte nur. Heller, als es die finsteren Taten erwarten ließen. »Bedroht?« Ihr Sarkasmus schien einen Abgrund unter Landrus Füßen zu öffnen. »Von dir?«
»Du redest, als würden wir uns kennen.« Landru zerbrach sich den Kopf, wer sie sein könnte. Auf keinen Fall Lilith, die sich mit ihm im Monte Cargano herumgetrieben hatte - obwohl er es in Betracht zog, ihr hier wiederzubegegnen. Auch sie konnte vom TOR verschlungen worden sein, um anschließend die Lilie zu finden, die sein Bewußtsein entführt hatte. Nach kurzem Zögern sprach er diesen Gedanken aus.
»Heißt du gar nicht Lydia, sondern - Lilith?«
Ganz gleich, welches Aussehen sie gerade besaß, möglicherweise war sie, wie er, in einen fremden Körper verpflanzt worden.
»Wer ist das? Ich wüßte niemanden, der so hieße ...« Es klang so verdammt ehrlich, daß Landru die Geduld verlor. Es fehlte nicht viel, und er hätte sich in blinder Rage auf sie geworfen.
Aber sein Vertrauen in die eigene Stärke wurde jäh erschüttert, als die Vermummte unvermittelt den Gesichtsschleier lüftete. »Du ...?« rann es über seine bleichen Lippen. Die Frau vor ihm war einmal seine schamlose Geliebte gewesen. Damals . in ferner
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