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Diebin der Zeit

Diebin der Zeit

Titel: Diebin der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vampira VA
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Zukunft.
    *
    Was wunderst du dich, daß deine Reisen dir nichts nützen, da du dich selbst mit herumschleppst? Sokrates
    3. August 1618, unterwegs
    Es regnet in Strömen. Der helle Tag ist zur sinistren Nacht verkommen, nur durchdrungen von Blitzen, die für die Dauer von Wimpernschlägen tödliche Säulen zwischen Himmel und Erde spannen. Von solcher Energie getroffen, müßte wohl auch ich verbrennen, dessen bin ich sicher. Doch danach steht mir nicht der Sinn. Nicht mehr.
    Ich habe mich in mein Los ergeben; es ist besser als das derer, die ich bestehle.
    Gerade drei Monate sind vergangen, seit ich mich auf einem Felde vor den Toren Prags wiederfand, nahe einem Hirten und dessen Herde. Und war es damals nicht viel stärker als heute, viel weniger zu kontrollieren? Es ... Das Verderben, das mir anhängt. Der schlim-me Magnetismus, der Eisen verschmäht, dafür aber Leben an sich zieht und bindet - das Leben anderer ... ihre kostbare und ach so schwindsüchtige Zeit!
    Die Hufe der Pferde, die die Kutsche ziehen, hämmern über das grobe Kopfsteinpflaster. Ihr Geräusch mischt sich mit dem tickenden Lärm einer nahen Windmühle, deren Schöpfwerk tagein, tagaus dabei hilft, das Land, auf dem sie steht, trockenzulegen.
    Cees Wynant hat mir dies erklärt. Cees, der mir gegenüber sitzt und seine Augen geschlossen hält, als schliefe er. Aber er ist wach. Sein Täuschungsversuch kann nicht gelingen, denn ich kenne sein Schlafgesicht. Ich habe ihn in der Nacht, als er mich das erste Mal beschälen durfte (so nennt er es, als wäre ich keine Frau, sondern eine Stute), stundenlang nur angesehen. Er sah aus wie ein kleiner Junge.
    Jetzt nicht. Jetzt sieht er aus wie ein Mann, der genau weiß, was er will. Und der immer noch nicht ahnt, daß auch ich es weiß .
    Ich verbinde keine Erfahrung mit dem Wörtchen Liebe. Dennoch bin ich sicher, dergleichen noch nicht erlebt zu haben, seit ich mit wachen Sinnen ums nackte Überleben kämpfe.
    Auch nicht mit Cees, der mir das Paradies auf Erden versprochen hat, sobald wir Amsterdam erreichen.
    Für wie naiv hält er mich?
    Amsterdam, hat er mir erzählt, sei die Schatzkammer Europas, mit mehr als hunderttausend Einwohnern, und täglich würden es mehr, denn auch der Krieg mit Spanien habe den Einwandererstrom nicht bremsen können.
    Wie seltsam, denke ich und lehne mich auf der gepolsterten Bank zurück. Der Spalt, den meine Finger am Fenster der Kutsche offenhielten, schließt sich wie ein geheimnisvolles Lid. Und während nah der Donner eines weiteren Blitzes rollt, während dicke Tropfen auf das Dach unseres Gefährts herniederprasseln, denke ich noch einmal: Wie seltsam - seltsam, daß ich selbst die Bedeutung von Wor-ten wie Krieg, Spanien oder Schatzkammer auf eine Weise erst erlernen mußte, als hätte ich sie nie zuvor gehört.
    Die Sprache, die Cees verwendet, wenn er sich mit dem Kutscher unterhält, kenne und beherrsche ich nicht. Nur wenn er sich des Angelsächsischen bedient, verstehen wir einander.
    Ich traf ihn auf einer einsamen Landstraße. Er ritt auf einem schnellen Pferd an mir vorbei. Doch nach einer Weile kehrte er zurück und fragte mich nach dem Ziel meiner Wanderung und ob er mich ein Stück weit mitnehmen könne.
    Ich willigte ein, und da ich noch satt war von dem Knaben und dem Mädchen, die ich auf dem Hradschin zurückgelassen hatte, schonte ich seine hübschen Züge und die Jugend, die ich hätte welken lassen können, als wäre sie eine geschnittene Rose in der prallen Gluthitze eines hochsommerlichen Tages.
    Nein, ich gestattete Cees, mich auf sein Pferd hinaufziehen und mit den Armen zu umschlingen, auch wenn mir klar war, daß er dies mit mehr Nachdruck tat, als erforderlich gewesen wäre, allein um mich im Sattel droben zu halten.
    Ich fand ihn gleich recht amüsant.
    Er mich wohl auch, denn als es zu dämmern begann, erreichten wir eine Herberge am Wegesrand, und er lud mich ein, mir die Unterkunft und ein warmes Essen zu bezahlen.
    Ich weiß noch, wie ich ihn angesehen habe.
    Essen? dachte ich - und war bereit, es noch einmal zu probieren. Schon während meiner Kerkerzeit hatte ich Wasser getrunken und harte Brotrinden gekaut, mich aber jedesmal darauf erbrechen müssen.
    An diesem Abend in der Herberge behielt ich das Mahl aus Grütze und Milch bei mir, auch wenn es nur wenige Bissen waren, die ich zu mir nahm.
    Cees lobte meine Bescheidenheit - und im selben Atemzug meine Figur. Daß sie ihm gefällt, weiß ich schon, seit ich seine Brust als

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