Diener der Finsternis
mit Weihwasser. An jede Spitze kam eine lange weiße Kerze. Hinter jede Kerze legte er eines der brandneuen Hufeisen, die Richard hatte besorgen lassen, und hinter jeden Becher eine Alraune, vier weibliche und eine männliche, die männliche nach Norden gerichtet.
Danach wandte sich der Herzog dem individuellen Schutz seiner Freunde zu: Kränze aus Knoblauchblüten, Rosenkränze, Medaillen mit dem Heiligen Benedikt wurden verteilt. Simon mußte sich in ihre Mitte setzen, mit dem Gesicht nach Norden, und bekam Teufelsdreckgras um Handgelenke und Knöchel gebunden. Als letztes Ritual wurden bei einem jeden die neun Körperöffnungen versiegelt.
All diese Vorbereitungen machten auf Richard nicht den geringsten Eindruck. Insgeheim hegte er die Ansicht, der Herzog und Simon seien durch die Tricks einer Erpresserbande hereingelegt worden. Deshalb hatte er, ehe er hinabging, eine geladene Automatik unter seine Pyjama-Jacke gesteckt. Sollte Mr. Mocata so schlecht beraten sein, daß er in der Nacht in sein Haus einbrach, um ihnen irgendwelche gemeinen Streiche zu spielen, so war Richard fest entschlossen, die Pistole zu benutzen. Er blickte fröhlich rundum und fragte: »Und was geschieht nun?«
»Wir haben ausreichend Platz«, antwortete de Richleau. »Wir können uns mit den Füßen nach außen hinlegen und versuchen, etwas zu schlafen. Aber zuvor muß ich euch einige Instruktionen geben.«
»Mir ist noch nie in meinem Leben weniger nach Schlaf zumute gewesen«, erklärte Simon.
»Mir auch nicht«, stimmte Richard zu. »Ich wollte, wir hätten eine Flasche Brandy dabei.«
Marie Lou kuschelte sich bei ihm an. »Wenn Grauauge und Simon dich nicht so gut kennen würden, müßten sie dich nach der Art, wie du redest, für einen Alkoholiker halten.«
Richard fuhr mit den Fingern durch ihr kurzes, lockiges Haar. »Das ist nur, weil ich heute meine Tagesration nicht bekommen habe. Aber wir könnten uns doch unterhalten. Grauauge, vor der Befehlsausgabe könntest du uns die Geschichte von diesem Talisman erzählen, um den der ganze Aufruhr geht.«
»Ihr kennt die Legende von Isis und Osiris?« fragte der Herzog.
»Ja, so ungefähr«, gab Richard zurück. »Sie waren der König und die Königin des Himmels und stiegen zur Erde hinab, um die Ägypter alles zu lehren, was sie wußten – stimmt das? Die alte Geschichte von einem weißen Gott, der einem dunklen Volk alle möglichen neuen Ideen über Ackerbau und Architektur und Gerechtigkeit bringt, was wir kurz Zivilisation nennen.«
De Richleau nickte. »So ist es. Ich meinte aber die Geschichte von Osiris’ Tod.«
»Er wurde ermordet, nicht wahr?« steuerte Simon bei. »Ich habe allerdings vergessen, wie.«
»Nun, nach der vieltausendjährigen Überlieferung spielte es sich folgendermaßen ab. Wie Richard sagte, war Osiris ein hellhäutiger, hellhaariger Mann, nicht der ägyptischen Rasse angehörig. Er wurde König von Ägypten, und seine Regierung war segensreich. Er hatte jedoch einen Bruder namens Seth. Hier treten wieder die Gegensätze von Gut und Böse, Licht und Finsternis auf, denn Seth war ein Mann der Finsternis. Seth war eifersüchtig auf Osiris und verliebt in Isis, seines Bruders Weib. Daher beschloß Seth, Osiris umzubringen und sich seine Frau und seinen Thron anzueignen.
Natürlich konnte Seth seinen Bruder nicht in aller Öffentlichkeit angreifen. Aber auch wenn es ihm hätte gelingen können, Osiris an einen einsamen Ort zu locken, hätte er sich gefürchtet, einen Tropfen göttlichen Blutes zu vergießen, denn Osiris war ein Gott.
Ihr wißt, daß das Denken der alten Ägypter ganz auf das jenseitige Leben konzentriert war. Die Beschäftigung mit Särgen und Grabmälern war für sie etwas ganz Natürliches. Das nutzte Seth für einen sehr schlauen Plan aus. Er ließ nach den genauen Maßen seines Bruders einen Sarg anfertigen, der eines Königs würdig war, und forderte Osiris auf, sich hineinzulegen, um zu sehen, ob er passe. Dann klappte er mit seinen Helfershelfern schnell den Deckel zu, so daß Osiris ersticken mußte.
Seth ergriff die Macht, aber Isis war rechtzeitig gewarnt worden und entfloh.
Da die ägyptische Religion auf dem Totenkult basierte, war es für Seth sehr wichtig, daß er den Sarg mit dem Leichnam loswurde. Hätten die Priester ihn nun ordnungsgemäß bestattet und ein Monument errichtet, dann hätte dieses leicht zum Sammelpunkt für alle Gegner Seths werden können. Deshalb ließ Seth den Sarg in den Nil werfen. Isis rettete
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