Diener der Finsternis
dem Wirt, da Tanith an Schaflosigkeit litte, würden sie wahrscheinlich ziemlich lange in der Gaststube bleiben, und er solle ruhig schon abschließen. Außerdem borgte er sich von dem Wirt ein Päckchen Spielkarten und behauptete, sie wollten noch eine oder zwei Stunden »Napoleon« spielen.
Sie machten es sich am Kamin gemütlich. Zwischen ihnen stand ein Tischchen, auf dem sie des Scheins wegen die Karten ausbreiteten. Doch sobald sich das Dienstmädchen entfernt hatte, lagen sie sich wieder in den Armen und vergaßen völlig ihre Umgebung. Hätte die Bedrohung durch Mocata nicht wie ein Damoklesschwert über ihnen gehangen, wären sie einfach ein glückliches, junges Liebespaar gewesen.
Immer wieder, ob sie nun von ihrer Kindheit oder irgendeinem Erlebnis sprachen, kamen sie auf das düstere Thema zurück, das sie sich eigentlich zu vermeiden bemühten. Endlich gaben sie es auf und redeten offen über das, was ihre Gedanken am meisten beschäftigte.
»Mir kommt das Ganze immer noch so fremd, so phantastisch vor«, bekannte Rex. »Ich weiß, daß ich die letzte und die vorletzte Nacht nicht geträumt habe. Ich weiß, wenn Simon nicht in Gefahr geraten wäre, würde ich dich jetzt nicht in den Armen halten. Und doch scheint es mir, das könne einfach nicht wahr sein und ich hätte mir alles nur eingebildet.«
»Es ist wahr, Liebster.« Tanith drückte seine Hand. »Das ist ja das Schreckliche daran. Eine greifbare Gefahr wäre längst nicht so furchtbar. Und wenn wir im Mittelalter lebten, wären wir auch nicht so schlimm dran. Dann könnte ich mich in ein Kloster flüchten, wo die Nonnen verstehen würden, um was es sich handelt, und wo ein in diesen Dingen ausgebildeter Priester einschreiten könnte. Aber heutzutage kann ich mich an niemanden wenden. Polizisten, Priester oder Ärzte würden mich alle für geistesgestört halten. Ich habe nur dich, Rex, und seit letzter Nacht habe ich Angst, schreckliche Angst.«
»Ich weiß, ich weiß«, tröstete Rex sie. »Du darfst dich aber nicht zu sehr fürchten. Ich glaube schon, daß Mocata dich hypnotisieren könnte, wenn er dich noch einmal allein anträfe, und dann könnte er dich vielleicht irgendwie benutzen, um den armen Simon wieder in sein Netz zu bekommen. Doch was könnte er dir darüber hinaus schon antun? Er wird es nicht wagen, einen Mord zu begehen, auch wenn er einen genügend starken Beweggrund dazu besitzt, weil er dann wirklich die Polizei im Nacken hätte.«
»Ich fürchte, mein Liebster, du verstehst nicht«, flüsterte Tanith. »Ein Satanist, der auf dem Pfad zur Linken so weit vorgeschritten ist wie Mocata, braucht kein besonderes Motiv zu einem Mord, es sei denn, du würdest die pure Lust an der Tat ein Motiv nennen. Ich habe ihn im Stich gelassen, und das ist für ihn genug, mir das Leben zu nehmen.«
»Das Risiko wird er bestimmt nicht eingehen, mein Herz. So etwas ist hierzulande viel zu gefährlich.«
»Seine Morde sind keine gewöhnlichen Morde. Er kann, wenn er will, aus der Ferne töten. Aber das ist es gar nicht einmal, wovor ich mich fürchte. Mich schreckt das, was danach kommt.«
»Wenn einer einmal tot ist, kann er ihm doch nichts mehr antun«, protestierte Rex.
»Doch, das kann er!« schrie Tanith verzweifelt auf. »Wenn er mich tötet, dann wäre ich für die Welt tot, aber ich würde als Untote weiterleben. Das wäre gräßlich!«
Rex legte müde die Hand über die Augen. »Sprich nicht in Rätseln, Schatz. Sag mir in einfachen, verständlichen Worten, wovor du Angst hast.«
»Nun gut. Vermutlich hast du schon von Vampiren gehört?«
»Ich habe in Romanen davon gelesen. Es heißt von ihnen, daß sie jede Nacht aus ihren Gräbern hervorkommen und das Blut menschlicher Wesen trinken, nicht wahr? Wenn man das Grab entdeckt, wird es geöffnet, und dem Vampir wird der Kopf abgeschnitten und ein Pfahl durch das Herz gestoßen. Nennst du einen Vampir einen Untoten?«
Tanith nickte langsam. »Ja, er ist ein lebender Leichnam. Doch hast du nie in anderen Büchern als Romanen darüber gelesen?«
»Nein, ich nicht. Der Herzog wird vermutlich darüber Bescheid wissen, und Richard Eaton wohl auch, denn beide sind eifrige Leser. Willst du im Ernst behaupten, daß so etwas nicht nur der Phantasie der Romanschreiber entsprungen ist?«
»Doch, es gibt diese schrecklichen Wesen. In meiner Heimat in den Karpaten werden überall Vampir-Geschichten erzählt, die sich wirklich abgespielt haben. Man hört von ihnen auch in Polen, Ungarn und
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