Diener des Boesen
zu weit!«
»Du bist heute zu weit gegangen, Hal. Ich bin verletzt worden und Mary ebenso. Hast du überhaupt schon mit ihr gesprochen, Hal? Hast du deiner Gemahlin eine Erklärung für das gegeben, was geschehen ist?«
»Mary…«, sagte Bolingbroke, als hätte er sich soeben erst wieder an sie erinnert.
»Mary war dabei, Hal, und meine Schändung hat sie ebenso mitgenommen wie mich. Und dennoch hat sie ihr eigenes Entsetzen beiseitegeschoben, um mir Trost zu spenden. Du kannst deine Gemahlin nicht einfach übergehen. Sie ist eine großartige Frau, und es ist eine Schande, dass du sie dazu überreden konntest, dich zu heiraten. Was immer du mit ihr vorhast, Hal, ich werde dir nicht dabei helfen. Nicht nach dem, was heute geschehen ist.«
Kapitel Sieben
Matutin am Fest des heiligen Franziskus
Im ersten Jahr der Regentschaft Richard II.
(Dienstag, 4. Oktober 1379, früher Morgen)
In der Kapelle war es kalt und ruhig, und Nevilles Atem hing in Dunstwolken über seinem gesenkten Kopf.
Er kniete vor dem Altar, hatte die Hände vor der Brust gefaltet und die Augen geschlossen; sein Rücken und die Schultern waren steif. Hin und wieder kam ein leises Stöhnen über seine Lippen, gefolgt von eilig geflüsterten verzweifelten Gebeten, die nach kurzer Zeit wieder verstummten.
Neville wollte Richard mit jeder Faser seines Wesens hassen und verabscheuen… doch sein Hass und seine Abscheu richteten sich nur gegen sich selbst.
Vor den geschlossenen Augen sah er die Gesichter von Lancaster, Raby und Gloucester. Manchmal glaubte er zu seinem Entsetzen auch die schattenhaften Gestalten von Richard und de Vere zu erkennen, die abwechselnd Margarets Leib schändeten.
Und er wusste, dass die Schatulle irgendwo versteckt auf ihn wartete… und über ihn lachte.
Er ballte die Hände zu Fäusten und glaubte schreien zu müssen, und wenn auch nur, um die vorwurfsvolle Stille im Inneren der Kapelle zu durchbrechen.
Du hast getan, was du für richtig hieltest. Mehr kann ich nicht von dir verlangen.
Neville sprang auf, stolperte, als seine steifen Muskeln sich verkrampften, und drehte sich um.
Hinter sich sah er ein sanft strahlendes Licht und die Gestalt des Erzengels Michael, der ihm die Hände entgegenstreckte, als wolle er ihm Trost spenden.
»Soll mich das etwa beruhigen?«, fragte Neville.
Du musst stark sein, Thomas. Du kannst nicht wissen, welche Prüfungen das Böse dir auferlegen wird, um…
»Ich habe zugelassen, dass meine Gemahlin geschändet wurde… für nichts und wieder nichts!«
Sie ist nicht von Bedeutung! Sie hat ihren Zweck erfüllt. Ist es deine Schuld, dass du die falsche Schatulle mitgenommen hast? Zumindest hast du es versucht. Du hast das Richtige getan.
»Warum hasse ich mich dann so sehr für das, was ich getan habe?«
Thomas, du musst dich vor der Versuchung hüten…
»Meine Gemahlin dazu zu benutzen, an die Schatulle zu gelangen, war eine Versuchung! Und was hat es mir eingebracht? Gar nichts!« Nevilles Stimme wurde zu einem Flüstern. »Aber was habe ich ihr damit angetan?«
Thomas…
Neville sank vor dem Erzengel auf die Knie und streckte bittend die Hände aus. »Ist das der Grund, warum ihr mich auserwählt habt?«, sagte er und wiederholte Margarets Worte. »Weil ich kaltherzig genug bin, um für meinen göttlichen Auftrag selbst Unschuldige den Flammen zu überantworten?«
Nichts ist wichtiger als Gottes Auftrag. Das weißt du. Thomas, die Schatulle wartet noch immer auf dich. Du darfst jetzt nicht an dir zweifeln…
Nevilles Gesicht verzerrte sich vor Qual. »Geh mir aus den Augen. Verschwinde!«
Thomas…
»Ich bin ein Mensch, Engel. Ein Mensch! Ich kann das Leid nicht mit ansehen, das meine Taten verursachen und dann so tun, als ginge mich das nichts an. Scher dich fort, Engel! Geh!«
Du bist ein Mensch, Thomas? Ach, mein Lieber, da irrst du dich…
»Scher dich fort. Verschwinde!«
Neville wartete die Antwort des Engels nicht ab. Er sprang auf, warf dem Erzengel einen letzten verzweifelten und wütenden Blick zu und stürmte aus der Kapelle.
Der heilige Michael war verschwunden, lange bevor die Tür hinter Neville ins Schloss gefallen war.
Kurz darauf brach die Familie Lancaster, mit ihnen auch Raby und seine Gemahlin Johanna, sowie Bolingbroke mit seinem Gefolge, nach Kenilworth in Warwickshire auf. Gloucester wollte noch eine Weile in London bleiben, um dann nach einem Abstecher zu seinen Landgütern ebenfalls nach Kenilworth
Weitere Kostenlose Bücher