Diener des Boesen
die Reihe seiner Kameraden zurück.
Jeanne wandte sich wieder Karl zu. »Ich bin eine Jungfrau«, sagte sie. »Ich schwöre bei Gott, dass ich in meinem Leben noch keinem Mann beigelegen habe.«
»Ich glaube dir!«, sagte Karl.
»Aber es wäre doch sicher besser, Gewissheit zu haben«, sagte der Erzbischof. »Meint Ihr nicht auch?«
Er blickte Isabella an. »Madam, da dies eine Aufgabe ist, die weder ich selbst noch die Mitglieder meiner Abordnung erfüllen können, möchte ich Euch bitten…«
»Meine Damen und ich erklären uns gern bereit, das Mädchen zu untersuchen«, sagte Isabella.
»Nein!«, rief Karl.
»Habt keine Angst, Majestät«, sagte Jeanne und streckte die Hand aus, um Karl zum Schweigen zu bringen. »Ich habe nichts zu verbergen. Gott und der mächtige Erzengel Michael sind meine einzigen Gefährten, meine einzigen Vertrauten gewesen.«
Katherine lächelte spöttisch. Ein zu vertraulicher Umgang mit Engeln kann sich als Fluch erweisen, Jeanne. Glaub ja nicht, deine Frömmigkeit würde dir all die verschlungenen Wege offenbaren, die das Böse nehmen kann.
Jeanne blickte kurz zu Katherine hinüber, und einen Moment lang empfand sie Mitleid mit dieser Frau, deren sündige Natur all ihre Gedanken vergiftete. Ich werde für Euch beten, dachte Jeanne, aber ich bezweifle, dass Gebete eine Seele retten können, die von Geburt an mit einem Fluch belegt ist!
»Ich stehe morgen bereit«, sagte Jeanne an den Erzbischof und Isabella gewandt. »Denn ich würde gern noch eine Nacht im Gebet verbringen und Gott um Beistand bitten, ehe ich mich dieser Prüfung unterziehe.«
Beide neigten zustimmend den Kopf, und Karl sank schmollend in seinen Stuhl zurück.
Wie jeden Abend kniete Jeanne vor dem kleinen Altar in dem schmucklosen Zimmer, das sie statt der geräumigen Gemächer gewählt hatte, die Karl ihr angeboten hatte. Auf dem Altar stand eine kleine Holzstatue der Heiligen Jungfrau mit dem Kind, flankiert von zwei kleinen, dicken Kerzen, die blakten und deren Schein kaum ausreichte, um das heitere Gesicht der Jungfrau zu beleuchten. Jeanne hatte die Hände so fest vor der Brust gefaltet, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten, und an den Stellen, wo sich vor lauter Inbrunst ihre Fingernägel in ihre Hände gebohrt hatten, liefen kleine Rinnsale Blut zu ihren Handgelenken hinab.
Jeanne trug nichts als ein einfaches, ärmelloses Gewand, das ihr bis zu den Oberschenkeln reichte. Das dichte, verfilzte Haar hatte sie sich achtlos hinter die Ohren geschoben, und ihre nackten, schwieligen Füße waren schmutzig.
Eine Gänsehaut überzog ihre Glieder, doch Jeanne war so in ihr Gebet versunken, dass sie die Kälte gar nicht spürte. Ihr Rücken war gebeugt und alles an ihr – ihr Gesichtsausdruck, die Haltung, die zitternden Muskeln, selbst das strähnige Haar und ihr ungewaschener Leib – zeugte von ihrer großen Frömmigkeit. Der Erzengel Michael war bei ihr.
Der Erzengel erschien Jeanne beinahe jeden Abend, und normalerweise schenkte er ihr Kraft und Trost mit Visionen über den Sieg der starken und gottesfürchtigen Franzosen über die Dämonen und Engländer.
Doch heute Abend war es anders. Heute hatte sich das Böse vor aller Augen gegen Jeanne gewandt, und deshalb würde der Erzengel die Mauern von La Roche-Guyon heute Abend noch mit seiner Rache heimsuchen.
Auch wenn sie sich über die Anwesenheit des Erzengels freute, zitterte Jeanne, denn sein Zorn war grauenerregend.
Bilder der Gewalt durchströmten ihren Geist: Schlachtfelder, auf denen Männer im Sterben ihren Hass herausschrien; Frauen, die vor Freude jauchzten, während sie auf dem Scheiterhaufen verbrannten; tyrannische Könige, die von ihrem eigenen Zepter durchbohrt wurden; und Männer… die obszöne Gesten gegen die Auserwählten Gottes machten. Männer, die schmutzige Worte benutzten… Männer, die logen… Männer, die Frauen mit ihrem Geschlecht aufspießten wie mit einem Speer…
Jeanne zitterte heftig und fragte sich, warum der Erzengel ihren Geist mit solch grausigen Bildern füllte.
Augenblicklich änderte sich die Szenerie. Sie sah einen Mann… den Mann, der sie heute Nachmittag mit üblen Worten und Gesten belegt hatte.
Wut durchströmte Jeanne und sie wurde von Rachedurst überwältigt. Von gerechtem Zorn, rachsüchtigem Zorn… dem Zorn des Erzengels.
Jeanne zuckte zusammen und stieß ein Fauchen aus.
Sie hatte sich selbst verloren.
Der Wachmann ging an den Mauern der Burg entlang. Der Wein, den er sich
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