Diener des Boesen
de Chartres.
Isabella benetzte nervös die Lippen und wünschte sich, sie hätte den englischen Hof nie verlassen. Sogar Richard wäre dieser ganzen Angelegenheit vorzuziehen gewesen.
Sie wandte sich kurz Katherine zu. Auf dem Gesicht ihrer Tochter spiegelte sich Mitgefühl, und Isabella fasste neuen Mut. Sie würde nicht zulassen, dass dieses plumpe Bauernmädchen die Oberhand gewann.
»Verehrter Erzbischof«, sagte Isabella noch einmal, und ihre Stimme klang nun klar und fest. »Heute Morgen habe ich zusammen mit meiner Tochter Katherine, mehreren Edelfrauen und zwei Hebammen, von denen eine dort neben der Tür steht, das Mädchen Jeanne untersucht, um festzustellen, ob sie tatsächlich noch eine Jungfrau ist, wie sie es behauptet. Wir haben ihren Leib genauestens begutachtet, und unser Wort kann von niemandem hier im Saal oder außerhalb dieser Mauern angefochten werden. Ihr Herren, das Mädchen Jeanne ist wahrhaftig eine Jungfrau. Sie kann gar nichts anderes sein.«
»Was meint Ihr damit?«, fragte ein Priester namens Seguin, der rechts vom Erzbischof saß.
»Vater«, sagte Isabella, »Jeanne ist ein wahres Wunder. Sie besitzt keinerlei Geschlechtsteile. Wo sich bei anderen Frauen der Spalt befindet, der die Männer in Versuchung führt und durch den die Kinder auf die Welt kommen, und die anderen Körperöffnungen, durch die sie Wasser lassen und sich erleichtern, hat Jeanne nur glatte Haut. Sie ist vollkommen unbefleckt, so rein, dass sie nicht nur niemals einem Mann beiwohnen kann, sondern auch keine Exkremente ausscheiden muss wie alle anderen Sterblichen.«
Im Saal herrschte Schweigen, und alle Augen waren auf Isabella von Bayern gerichtet, die zu ihrem Stuhl zurückkehrte.
Dann richteten sich die Blicke aller Anwesenden auf Jeanne, und überraschtes Gemurmel breitete sich aus.
Der Erzbischof und die Geistlichen starrten die Jungfrau an und konnten kaum glauben, was Isabella gerade gesagt hatte.
Karl hob zitternd die Hand zum Mund und blickte Jeanne mit vor Ehrfurcht und Angst geweiteten Augen an, und Jeanne schenkte ihm erneut ein Lächeln.
Währenddessen glitten ihre Augen triumphierend zu Isabella hinüber und dann zu Katherine, die mit versteinerter Miene neben ihrem Bruder saß.
Schließlich wandte sie sich wieder dem Gremium auf dem Podest zu. »Ich bin gesegnet«, sagte sie. »Gott ist mit mir.«
»Bist du… schon immer so gewesen?«, fragte de Chartres.
»Nein«, sagte Jeanne. »Ich bin wie jedes andere Mädchen geboren worden und aufgewachsen, doch letzte Nacht ist mir der heilige Michael erschienen und hat mir die Körperteile genommen, die Gott den Töchtern Evas als Zeichen ihrer Schande gegeben hat. Ich trage nicht mehr länger den Makel von Evas Sünde.«
Isabella rollte mit den Augen und beugte sich zu Katherine hinüber.
»Gott hat sie mit allem gesegnet, außer mit der Tugend der Bescheidenheit!«, flüsterte sie. »Zweifellos hofft sie, eines Tages den Platz des Heilands an Gottes Seite einzunehmen!«
Katherine blickte ihrerseits zu Philipp hinüber, um sich zu vergewissern, dass er die Bemerkung ihrer Mutter gehört hatte, und flüsterte dann zurück: »Ihr Stolz verrät sie, Madam. Womöglich ist sie doch eher ein Geschöpf des Teufels als eine Heilige.«
Philipp rutschte unbehaglich hin und her und bedeutete den beiden Frauen, zu schweigen. Im Augenblick wollte er mit den Anschuldigungen gegen Jeanne nichts mehr zu tun haben. Das war wenig ratsam.
Obwohl die Geistlichen auf dem Podest Isabellas und Katherines Worte nicht gehört hatten, war nicht zu übersehen, dass einige von ihnen ähnliche Zweifel hegten. Körperliche Missbildungen konnten genauso gut das Zeichen des Teufels wie das göttlicher Auserwähltheit sein.
Wer war Jeanne in der letzten Nacht erschienen? Der heilige Michael… oder Satan?
Seguin, einer der Priester des Gremiums, flüsterte de Chartres ins Ohr: »Vielleicht hätten wir sie nach den Zitzen einer Hexe untersuchen lassen sollen. Dass sie keine Geschlechtsteile hat, gefällt mir ganz und gar nicht.«
»Dazu werden wir immer noch Gelegenheit haben, wenn es sich als nötig erweisen sollte«, flüsterte de Chartres zurück, und Seguin nickte zustimmend.
Dann beugte er sich mit argwöhnischem Blick vor. »Du behauptest, der heilige Michael hätte mehr als einmal mit dir gesprochen. In welcher Sprache hat er geredet?«
Jeanne lächelte. »Seine Sprache war besser als Eure, Vater.«
Ein leises Kichern war im Saal zu hören – Vater Seguin
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