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Dienstags bei Morrie: Die Lehre eines Lebens (German Edition)

Dienstags bei Morrie: Die Lehre eines Lebens (German Edition)

Titel: Dienstags bei Morrie: Die Lehre eines Lebens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mitch Albom
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tun.«
    »Und all das verändert sich durch die Konfrontation mit dem Tod?«
    »Oh ja. Du streifst all das unnütze Zeug ab und konzentrierst dich auf das Wesentliche. Wenn du erkennst, daß du sterben wirst, dann siehst du alles mit ganz anderen Augen.«
    Er seufzte. »Lerne, wie man stirbt, und du wirst lernen, wie man lebt.«
    Ich bemerkte, daß er jetzt zitterte, wenn er seine Hände bewegte. Seine Brille hing ihm am Hals, und als er sie sich an
die Augen hob, rutschten die Bügel an seinen Schläfen herum, als versuchte er, sie in der Dunkelheit jemand anderem aufzusetzen. Ich langte hinüber, um ihm zu helfen, die Bügel über seine Ohren zu schieben.
    »Danke«, flüsterte Morrie. Er lächelte, als meine Hand seinen Kopf streifte. Der geringste menschliche Kontakt machte ihn glücklich.
    »Mitch. Kann ich dir etwas sagen?«
    »Natürlich«, sagte ich.
    »Möglicherweise gefällt es dir nicht.«
    »Warum nicht?«
    »Tja, die Wahrheit ist, wenn du wirklich auf jenen Vogel auf deiner Schulter hören würdest, wenn du akzeptieren würdest, daß du jederzeit sterben kannst – dann wärst du vielleicht nicht so ehrgeizig, wie du jetzt bist.«
    Ich zwang mich zu einem kleinen Lächeln.
    »Die Dinge, auf die du so viel Zeit verwendest – all diese Arbeit, die du machst – erscheinen dann vielleicht nicht so wichtig. Es könnte sein, daß du dann Platz für spirituelle Dinge schaffen mußt.«
    »Spirituelle Dinge?«
    »Du haßt das Wort, nicht wahr? ›Spirituell‹. Du glaubst, es ginge dabei um rührseliges Zeug.«
    »Na ja«, sagte ich.
    Er versuchte, mir zuzuzwinkern. Was ihm jedoch nicht gelang, und ich konnte mich nicht mehr beherrschen und begann, laut zu lachen.
    »Mitch«, sagte er und lachte ebenfalls, »selbst ich weiß nicht, was ›spirituelle Entwicklung‹ wirklich bedeutet. Aber ich weiß, daß es uns in irgendeiner Hinsicht an etwas mangelt. Wir sind allzusehr mit materialistischen Dingen beschäftigt, und sie befriedigen uns nicht. Die liebevollen Beziehungen, die wir haben, das Universum um uns herum – wir nehmen diese Dinge als selbstverständlich hin.«
    Er nickte in Richtung des Fensters. »Siehst du das? Du kannst da rausgehen, nach draußen, jederzeit. Du kannst die Straße rauf und runter rennen und verrückt spielen. Ich kann das nicht. Ich kann nicht rausgehen. Ich kann nicht rennen. Ich kann nicht da draußen sein, ohne befürchten zu müssen, krank zu werden. Aber weißt du was? Ich weiß jenes Fenster mehr zu schätzen als du.«
    »Zu schätzen?«
    »Ja. Ich schaue jeden Tag aus diesem Fenster hinaus. Ich bemerke die Veränderung in den Bäumen, sehe, wie stark der Wind weht. Es ist, als könnte ich durch jene Fensterscheibe sehen, wie die Zeit vergeht. Weil ich weiß, daß meine Zeit fast abgelaufen ist, fasziniert mich die Natur, als sähe ich sie zum ersten Mal.«
    Er stockte, und einen Moment lang saßen wir beide nur da und schauten aus dem Fenster. Ich versuchte zu sehen, was er sah. Ich versuchte, die Zeit und die Jahreszeiten zu sehen und wie mein Leben im Zeitlupentempo verging. Morrie ließ seinen Kopf ein wenig zur Seite sinken. Vielleicht fragte er einen imaginären kleinen Vogel, ob heute sein letzter Tag sei.
     
    Ständig erhielt Morrie Briefe von überall auf der Welt, dank seines Auftretens in der »Nightline«- Show. Wenn er dazu in der Lage war, diktierte er Freunden und seiner Familie, die sich zu den Briefschreib-Sitzungen einfanden, die Antworten.
    Eines Sonntags, als seine Söhne Rob und John zu Hause waren, versammelten sich alle im Wohnzimmer. Morrie saß in seinem Rollstuhl, die mageren Beine unter einer Wolldecke. Als ihm kalt wurde, legte einer seiner Helfer eine Nylonjacke über seine Schultern.
    »Welches ist der erste Brief?« fragte Morrie.
    Ein Kollege las einen Brief von einer Frau namens Nancy vor, die ihre Mutter durch ALS verloren hatte. Sie schrieb, wie sehr sie durch den Verlust gelitten habe und daß sie wisse, daß Morrie ebenfalls litt.
    »Gut«, sagte Morrie, als er den Brief bis zum Ende gehört hatte. Er schloß die Augen. »Fangen wir an mit: ›Liebe Nancy, Sie haben mich mit Ihrer Geschichte von Ihrer Mutter sehr berührt. Und ich verstehe, was Sie durchgemacht haben. Auf beiden Seiten ist Traurigkeit und Leiden. Es war gut für mich zu trauern, und ich hoffe, daß es für Sie ebenfalls gut war.‹«
    »Vielleicht solltest du die letzte Zeile ändern«, sagte Rob.
    Morrie dachte eine Sekunde lang nach und sagte dann: »Du hast recht.

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