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Dienstags bei Morrie: Die Lehre eines Lebens (German Edition)

Dienstags bei Morrie: Die Lehre eines Lebens (German Edition)

Titel: Dienstags bei Morrie: Die Lehre eines Lebens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mitch Albom
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wahr. Ohne Liebe sind wir Vögel mit gebrochenen Flügeln.
    Sagen wir mal, ich wäre geschieden oder lebte allein oder hätte keine Kinder. Diese Krankheit – was ich jetzt durchmache  – wäre so viel schwerer zu ertragen. Ich bin nicht sicher, daß ich es schaffen könnte. Gewiß, Leute würden kommen und mich besuchen, Freunde, Kollegen, aber es ist nicht dasselbe wie jemanden zu haben, der nicht fortgeht. Es ist nicht dasselbe, wie jemanden zu haben, den du kennst und der ein Auge auf dich hat, der dich die ganze Zeit beobachtet.
    Das ist eines der Dinge, um die es bei einer Familie geht, nicht nur um Liebe, sondern darum zu wissen, daß jemand da ist, der auf dich aufpaßt. Das ist es, was mir so sehr fehlte, als meine Mutter starb – ich nenne es die ›spirituelle Sicherheit‹ eines Menschen – : zu wissen, daß deine Familie dasein wird und auf dich aufpaßt. Es gibt nichts anderes auf der Welt, das dir jenes Gefühl vermitteln kann. Kein Geld. Keine Berühmtheit.«
    Er warf mir einen Blick zu.
    »Keine Arbeit«, fügte er hinzu.
    Eine Familie zu gründen und für eine Familie zu sorgen war einer der Punkte auf meiner kleinen Liste von Dingen, die ich in Ordnung bringen wollte, bevor es zu spät ist. Ich erzählte Morrie von dem Dilemma meiner Generation, was eigene Kinder angeht. Wie wir sie häufig als Geschöpfe ansehen, die uns fesseln, uns zu diesen Mutter- und Vaterfiguren machen, die wir nicht sein wollten. Ich gab zu, daß ich einige dieser Gefühle selbst hatte.
    Doch als ich mir Morrie anschaute, fragte ich mich, ob die Leere im Angesicht des Todes, wenn ich keine Familie, keine Kinder hätte, nicht unerträglich sein würde? Er hatte seine beiden Söhne zu liebevollen und fürsorglichen Menschen erzogen, und so wie Morrie geizten sie nicht mit ihren zärtlichen Gefühlen. Wäre es sein Wunsch gewesen, dann hätten sie das, was sie gerade taten, stehen- und liegengelassen, um jede Minute seiner letzten Monate mit ihrem Vater zu verbringen. Aber das war es nicht, was er wollte.
    »Ihr dürft euer Leben nicht unterbrechen«, sagte er ihnen. »Sonst wird diese Krankheit am Ende drei anstatt nur einen ruiniert haben.«
    Auf diese Art bewies er, selbst als er starb, Respekt für die Welt seiner Kinder. Es war daher kaum verwunderlich, daß sie ihm ihre ganze Zuneigung entgegenbrachten, daß sie ihn küßten und mit ihm scherzten, wenn sie an seinem Bett saßen und seine Hand hielten.
    »Wenn Menschen mich danach fragen, ob es besser für sie wäre, Kinder zu haben oder nicht, dann sage ich ihnen niemals,
was sie tun sollen«, bemerkte Morrie jetzt und betrachtete das Foto seines ältesten Sohnes. »Ich sage ihnen nur: ›Es gibt keine Erfahrung, die der, Kinder zu haben, gleichkommt.‹ Das ist alles. Es gibt keinen Ersatz dafür. Einen Freund zu haben, ist nicht dasselbe. Und auch nicht einen Geliebten oder eine Geliebte. Wenn du die Erfahrung suchst, die völlige Verantwortung für ein anderes menschliches Wesen zu übernehmen und zu lernen, wie du einen anderen Menschen auf die tiefste Art liebst, dann solltest du Kinder haben.«
    »Also würdest du es wieder genauso machen?« fragte ich.
    Ich warf einen Blick auf das Foto. Rob küßte Morrie auf die Stirn, und Morrie lachte mit geschlossenen Augen.
    »Würde ich es wieder so machen?« sagte er zu mir und schaute überrascht drein. »Mitch, ich hätte jene Erfahrung um keinen Preis missen wollen. Obwohl …«
    Er schluckte und legte das Bild in seinen Schoß.
    »Obwohl ich einen schmerzlichen Preis dafür zahlen muß«, sagte er.
    »Weil du sie verlassen wirst.«
    »Weil ich sie bald verlassen werde.«
    Er preßte die Lippen zusammen, schloß die Augen, und ich sah die erste Träne neben seiner Schläfe herunterrinnen.
     
    »Und jetzt«, flüstert er, »redest du.«
    »Ich?«
    »Deine Familie. Ich kenne deine Eltern, ich habe sie getroffen,
vor Jahren, bei der Abschlußfeier. Du hast auch eine Schwester, nicht wahr?«
    »Ja«, sagte ich.
    »Älter, ja?«
    »Älter.«
    »Und einen Bruder, nicht wahr?«
    Ich nickte.
    »Jünger?«
    »Jünger.«
    »Wie ich«, sagte Morrie. »Ich habe auch einen jüngeren Bruder.«
    »Wie du«, sagte ich.
    »Er war auch bei der Abschlußfeier, nicht wahr?«
    Ich blinzelte, und im Geiste sah ich uns alle dort stehen, vor sechzehn Jahren, die heiße Sonne, die blauen Gewänder, blinzelnd, als wir die Arme umeinander legten und für Polaroidfotos posierten, während jemand sagte: »Eins, zwei, dreiii …«
    »Was

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