Dienstags ist sie nie da - Roman
auffälligsten Accessoire, ihre Tarnung sofort auffliegen würde. Im letzten Moment schnappte sie sich noch ihren schicken Leder-Terminplaner, den sie immer in der Werbeagentur verwendete, in der sie arbeitete; sie hoffte, dass wenigstens der ihr den Anschein verleihen würde, alles unter Kontrolle zu haben.
Katy starrte die monotone Ziegelfassade des Krankenhauses hinauf und fragte sich, wie ein derart langweiliges Gebäude ein Ort solcher Emotionen und Dramen sein konnte. Irgendwie rechnete sie damit, blendend aussehenden Chirurgen zu begegnen, die mit Händen, von denen noch das Blut tropfte, durch die Gegend liefen; Verwandte, die weinend in den Ecken standen, nachdem sie eine niederschmetternde Nachricht erhalten hatten, und Patienten, die von lebensbedrohlichen Krankheiten geheilt durch die Gänge tanzten. Aber vielleicht hatte sie ja auch nur zu viele Wiederholungen von Emergency Room gesehen.
Die Tatsache, dass sie hier war, hier im Schatten dieses sehr realen Krankenhauses, stellte ihr eigenes Drama plötzlich klar und deutlich ins Rampenlicht. Sie spürte das allzu vertraute Gefühl einer Faust, die ihr Herz fest umklammert hielt; es kam immer dann auf, wenn es ihr nicht gelang, die Begleitumstände ihrer Schwangerschaft aus ihrem Denken zu verbannen.
Immer schön einen Schritt nach dem anderen, musste sie sich in solchen Momenten einreden. Lächeln, in Schönheit erstrahlen, brillieren – und was sonst noch so von schwangeren Frauen erwartet wurde. Dann würde
schon alles gut. Das Baby würde zur Welt kommen, und alles andere würde sich finden. Sie würde ihr Baby lieben. Ben würde das Baby lieben. Ihnen beiden würde klar werden, wie erfüllend es war, Eltern zu sein – und dann würden sie glücklich sein bis an ihr Lebensende.
Sie warf einen Blick über die Schulter, um zu sehen, ob Ben ihr folgte, und sah zum ersten Mal auf seine Knie, an denen noch der Matsch vom Fußballplatz der Schule klebte.
»Deine Knie«, rief sie und deutete auf den Dreck.
»Ich will dir ja jetzt keinen Heiratsantrag machen«, erwiderte Ben mit gespieltem Ärger.
Verzweifelt schüttelte sie den Kopf, atmete tief durch und machte sich auf den Weg zum Krankenhauseingang. Sie war der Meinung, dass sie ihr Leben bislang eigentlich recht gut auf die Reihe gekriegt hatte. Alle wichtigen Punkte hatte sie mit Erfolg abgehakt: Studium, Beruf, Eigenheim.
Zugegeben, es haperte am Haken für die Hochzeit, aber das hatte sie ja so haben wollen. Wenn es um Männer ging, zog sie es vor, die Kontrolle zu behalten. Nach einer wirklich traumatischen Erfahrung mit ihrer ersten Liebe hatte sie ihr Herz verriegelt, so dass es nie wieder seine volle emotionale Kapazität erlangt hatte. Das kleinste romantische Flattern versetzte sie in Alarmbereitschaft, dass mit rasanter Geschwindigkeit erneut Herzeleid auf sie zukommen könnte, und dann beendete sie die Situation schnell mit einer klaren, prompten Trennung. Sie sah sich in ihrem Konzept bestätigt, wenn sie miterlebte, wie ihre Freundinnen immer wieder demütigend aus höchsten Höhen fallengelassen wurden.
Sie hatte aufgehört mitzuzählen, wie oft ihre Freundinnen
ihr erklärt hatten, dass sie jetzt endlich »den Richtigen« kennengelernt hatten. Zu wissen, dass sie diese Freundinnen binnen zwei Wochen aufgelöst auf ihrer Eingangstreppe vorfinden würde, stimmte sie traurig. Sie erzählten ihr dann immer heulend die tragische, aber vorhersehbare Geschichte, dass »der Richtige«, den sie mit einer anderen »Richtigen« erwischt hatten, offensichtlich nicht dachte, dass sie selbst »die Richtige« sei. Katy schenkte dann geduldig Wein nach, während ihre Freundinnen ihr das Herz ausschütteten, bis die Nacht unausweichlich damit endete, dass sie betrunken zur Musik einer Boygroup sangen und um den Tisch herumtanzten. Dann gab es stets ein hoch emotionales Love-in, bei dem die Mädels ihr beteuerten, dass Katy die beste Freundin der Welt sei. Und am Ende kotzte in den frühen Morgenstunden immer eine von ihnen vom Balkon.
Es erstaunte Katy, dass sie nicht lernten, dass man, wenn man jemandem sein Herz öffnete, bedenkenlos zur Seite geschoben wurde – wie der berühmte Karton mit den Sachen vom Vorjahr, sobald die neuesten Klamotten im Schrank hingen.
Allerdings hatten die Nächte, die sie damit verbracht hatte, die an Liebeskummer Erkrankten zu trösten, vor langer Zeit nach und nach aufgehört. Eine nach der anderen hatte schließlich einen Mann gefunden, der offensichtlich eine
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