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Dies Herz, das dir gehoert

Dies Herz, das dir gehoert

Titel: Dies Herz, das dir gehoert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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der großen Mietskaserne, die mit vielen Fenstern in die Nacht hinein leuchtet. Hanne Lark sieht empor und sucht das Fenster der Freundin.
    »Dort!«, zeigt sie. »Und die beiden dunklen links daneben, die werden dein Zimmer!«
    »Die Haustür wird schon verschlossen sein.«
    »Dies ist kein Haus mit verschlossener Haustür. Tag und Nacht kommen und gehen die Leute darin zur Arbeit. Das ist wie in Vaters Bienenhaus daheim eine volle Wabe, es summt nur so von Leben!«
    »Du bist vom Lande?«
    »Ganz hinten, ganz weit fort – ja, vom Lande. Zuerst, als ich hierher in die Stadt kam, meinte ich, nicht leben zu können: kein Licht, keine frische Luft, kein Wind, nichts Grünes ... Aber jetzt liebe ich es, weil es so lebendig ist! Denke doch, die Summe von Arbeit, die solch Haus verrichtet!«
    »Du sprichst so viel von Arbeit!«
    »Weil sie das Beste auf der Welt ist! Schon, als ich noch klein war, mochte ich es in der Bibel nicht leiden, dass die Arbeit ein Fluch sein soll! Ich hätte mich im Paradies zu Tode gelangweilt! Was für ein dummer Gott! Arbeit ein Fluch – nicht einen Tag möchte ich ohne Arbeit leben!«
    »Wie verschieden wir doch sind!«
    »Denke nicht daran!«, rief sie und schüttelte ihn bei den Schultern. »Denke daran, dass wir einander ähnlich werden müssen. Ich krieg dich schon! Warte nur ...«
    Nein, das Haus war nicht verschlossen gewesen. Sie stiegen die dunkle, abgetretene Treppe mit ihren hundert verschiedenen Gerüchen empor. Mit Streichhölzern leuchtete sie ihm. Hinter jeder Tür – und es gab so viele Wohnungstüren, auf jedem Treppenabsatz vier oder fünf –, hinter jeder Tür sprach, lachte, pfiff, sang es, Kinder plärrten, einer hämmerte ...
    Auf einem Treppenabsatz standen zwei Wohnungstüren offen. Eine Frau reichte einer anderen ein Brot: »Da, ick komme jut hin!«
    »Morjen kriegen Se’s wieda, bestimmt!«
    »Hat keene Eile. Mein Oller is uff Montage, bei uns wird jetzt wenig Brot jejessen.«
    Es war genau die Art Haus, die Johannes Wiebe hasste, ein Haus, in dem man nicht zu sich selbst kommen konnte, wo alles mit Lärm, Gerüchen, Anliegen auf einen eindrang.Er bewunderte Hanne Lark, mit welcher Selbstverständlichkeit sie über die ausgetretenen Stufen hochstieg, den Frauen einen »guten Abend« zurief, einen Augenblick lauschend vor einer Tür stehenblieb, hinter der zwei sich zankten, und leise lachend weiterging.
    Sie war doch vom Lande, wo es still und weit war, wo jeder er selbst sein konnte, zu sich kommen konnte – so dachte er noch immer, der Arme, der wie nur je glaubte, die  andern hinderten ihn, er selbst zu werden. Ihr aber schmeckte es! Sie war verliebt in das Leben selbst, mit allen seinen Äußerungen, lauten wie leisen. Sie scheute sich vor nichts. Wie stark sie war! Wie jung sie war! Er kam sich uralt und weise vor, sie würde ja nicht immer jung und stark bleiben. Eines Tages würde sie auch ihre Enttäuschungen erleben, das Leben ließ keinen aus.
    Wie weise er sich vorkam! Aber er war nicht weise, er war bloß müde und abgekämpft, und deshalb war er dumm. Denn wenn die Jugend nicht in das Leben verliebt ist – mit Glück und Schmerz, Hunger und Tränen, Freude und Arbeit –, wer sollte es dann sein? Wenn die Jugend nicht glaubte, wer sollte es dann tun? Er war der behütete Sohn aus »feinem« Hause gewesen, so war er etwas zu fein geraten, und darum hatten ihn all seine Lebenserfahrungen nicht stärker, sondern schwächer gemacht. Aber jetzt geriet er in eine andere Schule!
    Sie drückte zweimal kräftig auf den Klingelknopf.
    »Sei nett zu der Marie«, flüsterte sie noch rasch. »Ich will, dass ihr beide euch gernhabt – gleich von Anfang an.«
    Und laut: »Da sind wir schon, Marie! Ich hätte selbst nicht gedacht, dass es so schnell ginge. Das Zimmmer ist  doch noch frei? Ja, sieh ihn dir an, dies ist Johannes Wiebe – Hanne und Hannes, verstehst du? Er ist nun alsowirklich dunkel, du hast es richtig erraten! – Sie hat mich heute Nachmittag gefragt, ob du dunkel oder blond seist, und denke dir, ich wusste es im ersten Augenblick nicht!«
    »Kommen Sie doch herein, Herr Wiebe! Ja, das Zimmer ist noch frei, aber es ist nichts zurechtgemacht, nichts geheizt ...«
    »Das besorge ich gleich. Halte dich nicht auf. Ich weiß, du hast wie immer die halbe Nacht zu nähen. – Gefällt dir das Zimmer, Hannes?«
    »Ja«, sagte er. »Natürlich.«
    Aber natürlich gefiel es ihm gar nicht, mit seinen Muschelknäufen und Samtsesseln und der einst weiß

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