Dies Herz, das dir gehoert
Höhe! Aber nun ist es auch Schluss – ich bin gut und geduldig mit dir gewesen, Hanne, aber nun ist es aus mit uns! Nun sollst dumich von einer andern Seite kennenlernen! Du sollst einmal sehen ...«
Dunkel fühlt die Tante, dass ihre vagen Drohungen dieser Nichte gegenüber nur ein unfruchtbares Kapital seien. Aber sie war nicht in Mangel um Angriffsmöglichkeiten. »So ein hergelaufener Kerl, dem man die schlimmen Krankheiten und die Verkommenheit auf dem Gesicht abliest.«
»Er hat eben die Grippe gehabt, Tante.«
»Der nur darauf ausgeht, Mädchen zu verführen und zu stehlen, dem schmeißt du dich an den Hals! Aber so bist du, Hanne, mich machst du nicht dumm. Ich habe dich vom ersten Tage an durchschaut. Liederlich freit Lumpig, und ob du dich von dem Oppermann nicht schmieren lässt, das weiß ich auch noch nicht ...«
»Jetzt ist es genug, Tante!«, sagte Hanne Lark und stand weiß und empört auf. »Der Emil Schaken sitzt längst auf der Wache, und du kannst dir da dein geliebtes Wechselgeld abholen ... denn Geld ist dir doch das Allerliebste auf der Welt!«
Sie sah die Tante, die ob dieser Eröffnung nach Atem rang, mit funkelnden Augen an. Sie hätte gern jetzt Schluss gemacht, aber auch sie war eine Frau, und wenn sie erst einmal ihrer Zunge Lauf gelassen hatte, wurde es ihr genauso schwer wie ihren Schwestern, wieder aufzuhören.
Sie war gekränkt worden, das tat nur im Augenblick weh, aber er war mit Schmutz beworfen, und das heischte Sühne!
»Und wenn du denkst, du kannst mich noch länger bloß darum, weil ich deine Nichte bin, schlechter bezahlen als jeden kleinen Hallengehilfen und noch dazu gemein behandeln, so irrst du dich! Heute Abend noch gehe ich von dir fort, und es soll dir schwerfallen, einen Ersatz zu kriegen, denn dich und deine Zunge und deinen Geiz kennen sie inder ganzen Zentralmarkthalle, vom Alexanderplatz bis in die Frankfurter Allee hinein.«
»Du übertreibst maßlos, Hanne«, sprach der Onkel Oskar mit schwerer Zunge.
»Das kannst du heute nicht mehr machen mit den Menschen, wir sind genauso viel wie du! Ich finde überall Arbeit! Und mein Freund ist tausendmal besser als du, und wenn du glaubst, er hat sich den ganzen Morgen für dich geplackt und geschunden und du kannst ihn um sein Geld betrügen, so irrst du dich. Ich gehe nicht eher, ehe ich nicht seine fünf Mark habe!«
»Da hörst du es, Oskar!«, schrie die Tante schrill. »Zu ihm will sie laufen! Das ist der Sinn vom Ganzen! Das steckt ihr im Kopf! Darum hat sie mich den ganzen Tag geschunden und tribuliert und bei der Arbeit sitzenlassen, bloß weil sie zu ihm will!«
»Ich brauche ja gar nicht zu ihm, Tante Gustchen«, sagte Hanne Lark mit gefährlicher Ruhe. »Du kannst ihm die fünf Mark gleich selbst geben, er ist nämlich in meinem Zimmer!«
Und diese letzten Worte sprach sie mit ganz fester Stimme, Wort für Wort, mit gehörigen Abständen, dass sie auch richtig wirkten.
»Was?«, rief die Tante und war so schnell auf den Beinen, sie wusste selbst nicht wie.
Aber der Schreck war zu stark gewesen.
»In meiner Wohnung!«, rief sie klagend. »Es ist unmöglich!«
Die Beine sackten unter ihr fort, und sie saß wieder.
»Hörst du das, Oskar?«, fragte sie jämmerlich.
»Ja, natürlich«, sagte der Onkel, dem Rum und hastiges Reden das Verständnis stark verschlagen hatten. »Ich höre alles.«
»Ja, er schläft auf meinem Zimmer«, sagte Hanne Lark. »Und ich schäme mich deswegen gar nicht. Denn er ist krank und elend, und keiner kümmert sich um ihn, und da soll ich ihm nicht helfen dürfen, bloß weil ich ihn heute Morgen noch nicht gekannt habe oder weil er ein Mann ist. Ich ...«
Aber die Tante hörte nichts mehr, die Tante hatte überhaupt nicht mehr zugehört, seit die Kunde ihr geworden war, dass ein fremder Mann in ihrer Wohnung, in ihrer Nichte Kammer ... Es war unglaublich – es war so unglaublich, dass sie es erst mit eignen Augen sehen musste.
Und so lief sie denn nach dem kurzen Ruf: »Komm, Oskar!«, mit ihren schnellen, kurzen Schritten aus dem Zimmer auf den Flur, um sich mit eignen Augen zu überzeugen.
Der Onkel aber folgte dem Ruf noch nicht gleich, sondern benutzte den unbewachten Augenblick, sich den Rest der Rumflasche einzuverleiben.
Dafür lief Hanne hinter der Tante drein.
»Bitte nicht, Tante Gustchen!«, bat sie. »Er schläft so schön – er ist doch krank!«
Aber für die Tante gab es kein Aufhalten mehr, sondern sie riss die Tür mit einem Ruck auf,
Weitere Kostenlose Bücher