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Dies Herz, das dir gehoert

Dies Herz, das dir gehoert

Titel: Dies Herz, das dir gehoert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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wusste nie etwas bestimmt und war ganz von ihnen abhängig – da konnte ich ihnen nicht widerstehen! Sie waren so stark, und von ihrer Stärke wurde ich immer schwächer – das verstehst du doch?«
    »Und du hast nie versucht, deinen eignen Weg zu gehen? Man muss ja nicht immer nur in einer Fabrik erfolgreich sein!«
    »Doch! Da waren meine Bilder und meine Bücher. Wie ich die geliebt habe! Ich hätte nie gedacht, dass ich lange, lange Zeit ohne sie leben könnte. – Aber auch das war nichts. Sie lächelten nur dazu. Für sie war es wie ein Kinderspielzeug. Für sie galt immer nur, was Geld brachte – auch Mutter dachte nicht anders.«
    »Aber so sieht sie nicht aus, Hannes!«
    »Nein, jetzt nicht. Sie hat sich sehr verändert. Vielleicht habe ich sie auch immer falsch beurteilt: sie war immer so kühl und hatte nie Zeit. Hundertmal hat sie mir gesagt: Werde erst einmal etwas Tüchtiges, wie dein Bruder! Aber so wie mein Bruder konnte ich nicht werden, und was ich werden wollte, darüber lächelten sie.«
    »Und was wolltest du werden, Hannes?«
    »Ich weiß doch nicht, Hanne! Ich dachte und fühlte in allem so anders wie sie. Wenn ich daran zurückdenke – grade an jenem letzten Tag. Sieh mal, für meinen Bruder sind Arbeiter so etwas wie Maschinen. Er lässt sie laufen oder stille stehen, ganz wie es ihm vorteilhaft erscheint. Er denkt nie daran, dass sie auch Menschen sind.«
    »Heute wird er sich geändert haben.«
    »Er ändert sich nie. An jenem letzten Tage hatte er grade all seine Arbeiter entlassen, weil der Betrieb ihm nicht mehr genug Verdienst brachte. Ich traf ein paar auf der Straße, sie sahen so elend aus und waren so unglücklich, weil sie stempeln gehen sollten. Das empörte mich. Ich setzte mich für sie ein. Aber ich war schwach, und sie waren stark. Sie bewiesen mir, dass ich nichts wäre und nichts verstünde. Und da ...«
    Unwillkürlich sind die beiden stehengeblieben, an einer kleinen sandigen Havelbucht. Beide sehen hinaus auf die in der schräg stehenden Sonne glitzernde Havelfläche, die noch von vielen fröhlichen Booten belebt ist.
    Aber in ihrer Nähe ist es ganz still. Nur leise rauscht das Schilf, mit einem sanften Plätschern laufen ein paar von Dampferschrauben aufgerührte Havelwellen auf den Sand.
    »Und da?«, fragte Hanne Lark. »Fügtest du dich auch da?«
    »Das war an jenem Tage, Hanne, da ich hinüberging, du weißt, in die Staaten. Aber denke nicht, dass ich der Arbeiterwegen fortging. Was hätte ihnen das auch genützt? Ich bin aus Angst vor meinen Verwandten fortgegangen. Aus Angst, dass ich eines Tages doch so werden könnte wie sie. Aus Angst, dass ich nie zu meinem eigenen Ich kommen könnte. Ich habe Angst vor dem Bleiben gehabt, und ich hatte auch Angst vor dem Fortgehen gehabt.«
    »Aber du bist gegangen, Hannes!«
    »Aus Angst. Mit Angst. O Hanne, was bin ich für ein jämmerlicher Mensch!«
    »Du bist es nicht, vielleicht warst du es. Denke bei allem, was du mir erzählst: es war einmal. Es war einmal ...«
    Eine bewaldete Anhöhe an der Havel. Zwischen den Bäumen sitzen die beiden, eng nebeneinander, sehen auf die nun schon grau werdende Wasserfläche hinaus. Die Sonne ist schon unter dem Horizont.
    »Das sah ich ja schnell, dass das nur ein Traum war: Drüben kann man schon gar nicht ein eigener Mensch werden. Dort denken sie alle gleich und sprechen alle gleich und fühlen gleich – und wer nicht genauso ist wie sie, den stoßen sie aus, den hassen sie richtig ...«
    »Und unter ihnen hast du gelebt!«
    »Eine lange Zeit. O Hanne, manchmal jetzt noch wache ich auf und habe geträumt, dass ich wieder am fließenden Band stünde und setzte acht Muttern auf und schaffte es nicht. Wieder packt mich die Angst von damals, dass ich nur eine Maschine werden könnte – zum Mutternaufsetzen!«
    »Und diese Angst hat dich wieder zurückgetrieben?«
    »Diese Angst, ja. Nur diese Angst ... Denn sie wollten mich anders ängstigen. Einer zeigte mir, wie sich die Arbeitslosen vor den Toren der Fabrik um meinen Arbeitsplatzprügelten, sie dachten, das würde mich besser arbeiten machen ...«
    »Aber du?«
    »Ja, da begriff ich, dass ich eines Tages vielleicht so verängstigt sein würde, dass ich sogar um diesen jämmerlichen, menschentötenden Arbeitsplatz zittern würde. Das wäre das Ende für mich gewesen – und so nahm ich Mutters Scheck und fuhr heim ...«
    »Aus Angst ...«
    »Mit Angst!«
    »Es war einmal, Hannes! Es war einmal ...«
    Es ist nun schon fast

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