Dies Herz, das dir gehoert
Bootssteg, einen Badeplatz.
Er ruderte, er sah dabei in ihr belebtes Gesicht. Er wollte, er hätte nichts gesagt.
»Hätte ich doch nichts gesagt!«, wiederholte er es unwillkürlich laut.
»Aber warum denn?«, fragte sie verwundert. »Soll ich denn nie und nichts von dem wissen, was du früher warst? Es ist doch nur ein Lokal! Wie bunt und hübsch das aussieht! Wie viele Menschen! Und sie sitzen so schön bequem, es sind richtige Sessel, nicht solche eisernen Gartenstühle wie in unserer Wirtschaft vorhin! Warum siehst du nicht hoch, Hannes? Sieh doch einmal hin! Es tut dir doch nichts! Du hast doch nicht Angst? Du musst doch nicht Angst haben vor dem, das war!«
»Aber ich habe keine Angst, Hanne«, sagte er lächelnd und sah hoch.
Zuerst sah er nur das Durcheinander von vielen Gesichtern, Münder, die sprachen, Augen, die lächelten, Lippen, die einen Strohhalm zwischen sich hielten, eine Hand, die in die Frisur griff, den Arm eines Kellners, der über eine Schulter fort Tassen auf einen Tisch verteilte ...
Dann war es, als werde sein Blick von einem Punkt angezogen ... Die Hände ruhend auf den beiden Ruderenden, saß er da und starrte.
»Was hast du?«, fragte sie.
Er hörte sie nicht.
Er sah einen Tisch, ganz nahe. Und an diesem Tisch saß sein Bruder, gelblich und gedunsen, saß da und sah mit kalten, fremden Augen ihm gerade ins Gesicht!
Aber das war es nicht – sondern seitlich zum Bruder saß so, dass er ihr Profil sah, die Mutter und sagte etwas zum Bruder. Er sah das Gesicht der Mutter, so alt geworden! Und das Haar unter dem Hut, so weiß geworden! Und die Hände, so dünn, und das Kleid schwarz ...
»Warum trägt sie denn ein schwarzes Kleid? Hat sie denn Trauer?«, fragte er halblaut vor sich hin.
»Hannes«, rief Hanne. »Was ist dir? Wen siehst du?«
Und sie beugte sich weit zu ihm hinüber.
Er hörte sie gar nicht.
Denn plötzlich hatte er begriffen, warum die Mutter so weiß und alt geworden war, warum sie Schwarz trug! Und alles war wieder da – nichts war vergessen und überwunden, es war alles wie eh und je! Noch immer war er nichts – heimatlos trieb er in einem Kahn an den Verwurzelten vorüber!
Der Blick des Bruders traf ihn kalt und fremd, als kenne ihn der Bruder nicht – und wurde von ihm fortgenommen. DerBruder wandte sich wieder der sprechenden Mutter zu.
Aufseufzend ließ Johannes Wiebe den Kopf sinken, seine Hände ließen die Ruder los, er verbarg das Gesicht in ihnen.
Der Kahn schwankte stark. Hanne Lark war neben ihm, fasste ihn bei der Schulter.
»Hannes, was ist?«, fragte sie drängend, angstvoll.
»Fort! Nur fort!«, bat er. »Dort sitzt meine Mutter ...«
Unwillkürlich sah sie zurück. Sie sah das Gesicht einer weißhaarigen Dame mit einem seltsamen Ausdruck von Zweifel und Angst auf sich gerichtet. Dann ging der Blick von ihr fort, richtete sich auf die zusammengekauerte Gestalt im Boot.
Die Dame stand auf, ging mit einem ungestümen Schritt zwischen den Tischen hindurch – wie blind – ans Wasser. Sie lehnte sich an das Geländer der Terrasse, sie rief: »Johannes! Hannes!«
Hanne Lark fühlte, wie er bei ihrem Ruf zusammenzuckte. Aber er flüsterte noch einmal: »Fort, bitte fort!«
Sie trieb im Stehen mit einem Ruder das Boot mit starken Schlägen fort. Die Strömung half ihr. Noch einmal klang von ferne der Ruf: »Hannes!«, dann kam eine Schilfecke, sie sah das Lokal nicht mehr.
»Setze dich jetzt ans Steuer, Hannes« sagte sie mit fester Stimme. »Wir sind fort. Ich rudere uns an eine Stelle, wo wir anlegen können.«
Er tat wortlos, was sie sagte.
Sie ruderte rasch, mit festen, kurzen Schlägen.
Er sah manchmal hinter sich, als habe er Angst, verfolgt zu werden.
Einmal sagte er verloren: »Du musst mir helfen, Hanne!«
»Natürlich!«
»Ich werde dir alles erzählen.«
»Rede jetzt nicht – dort drüben legen wir an. Die werden ihr Boot schon wiederfinden.«
»Was wäre ich ohne dich?«
Vernunft
»Also, Mutter, ich verstehe dich wirklich nicht! Du bildest dir einfach etwas ein. Du hast Gespenster gesehen.«
»Ja, Gespenster ... Und doch war er es! Ich habe sein Gesicht nicht sehen können, aber genau so saß er, wenn er verzweifelt war. Genau so! Natürlich war es Hannes!«
»Ich habe sein Gesicht gesehen, Mutter, und ich kann dir versichern, er war es nicht! Ein ganz gewöhnlicher Arbeiter, irgend so ein Monteur, mit seinem Sonntagsliebchen. Übrigens ein ganz hübscher Bursche – aber nicht eine Spur von Ähnlichkeit mit
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